Männer sind Termiten

TW: sexualisierte Gewalt

Die ganze Woche Albträume gehabt, seit dem Dreifachmord des Ex-Mannes an seiner Ex-Frau und ihren zwei minderjährigen Mädchen, einmal 10, einmal dreieinhalb Jahre jung. Keiner der Männer in meinem nahen Umfeld hat den Feminizid in unseren Gesprächen thematisiert. Freitagabend, eine sehr betrunkene, vielleicht nicht nur, junge Frau, die allein war, davor geschützt von einem fremden, dreisten, von ihr besessenen, Mann mitgenommen zu werden.

Samstagabend mit meinen Schwestern* unsere Getränke brav mit Handflächen abgeschirmt, immer zusammen auf Toilette, und zwar irgendwo, statt dreissig Minuten anstehen, weil unsere Bedürfnisse nicht berücksichtigt werden, wie immer. Ich war einmal draussen bei den Büschen pissen, zwei Mal auf dem Männerklo, wo es auch nicht sicher war, und das letzte Mal war ich nicht, weil’s mir dort zu gefährlich war wegen beim Pissen runterfallen und sterben und habe gewartet auf meine Freundin, die trotzdem ging. Wusste nicht, ob ich mehr Angst haben sollte, dass sie runterfallen könnte oder vor den hässlichen Männern überall. 

Samstagabend, wo meine Freundin und ich von der Tanzfläche verschwunden sind, zwei Mal, wegen Männern, die zu viel Platz einnahmen beim Tanzen und wegen Männern, die zu viel Platz einnahmen beim Tanzen und stanken. 

Samstagabend, wo wir, um über einen Freund von mir zu sprechen, einen Codenamen benutzt haben, weil er denselben Namen trägt, wie ein Täter, und jemand nicht ständig den Täternamen hören müssen wollte. Samstagabend, wo ich das Konzert, auf das ich mich so gefreut hatte, von der Seite aus der Entfernung anschauen musste, weil in der Mitte und vorne Männer-Moshpit-Zone war – wie immer. Ich liebe Rap aber habe noch nie ein Rapkonzert so richtig geniessen können, weil ich Angst vor Moshpits habe, weil ich nicht gerne angefasst, verboxt oder zertreten werde von einer besoffenen Horde Männer. 

Im Ausgang bin ich dauerangespannt, hochvorsichtig. Ich rechne damit, K.O-Tropfen verabreicht zu bekommen, wenn ich ein Getränk hole. Ich riskiere jedes Mal Gewalt zu erleben, wenn ich ausgehe. Im queer feministischen Raum tanzen Männergruppen zu misogynen Texten. Bei der Schlange zum Frauenklo will sich ein Mann vordrängeln. Die gleichen Täter bewegen sich immer noch frei in der Bubble, frei von Konsequenzen. Auf der Dating App suchen Szene-Männer unverbindlichen Sex, von Vorspiel hat noch nie einer gehört. Was eine langweilige, frauen*feindliche Scheisszeit.

Samstag, wo am Schluss neben meinem Fahrrad eine bewusstlose Frau lag. Hilfe war bereits da. Unter Tränen nach Hause gefahren und mich gefragt, wäre ich früher nach Hause, hätte ich sie gefunden? Hätte ich ihr helfen können? Wie lange lag sie da und was war mit ihr, bis ihr jemand helfen kam? Wird sie wieder aufwachen? Wenn ja, welches Ausmass an Schmerzen wird sie aushalten müssen, wird sie sich noch erinnern können? Krampfweinen beim Zähneputzen. Albträume. 

Sonntag, wo ich mit meinen Schwestern* rede, darüber, über alles, und jede entgegnet mir mit einer persönlichen Geschichte zu K.O-Tropfen. Ich muss an all den Sex denken, den ich zu jung und zu betrunken hatte. Der mit mir gehabt wurde. Ich muss an den Mann denken, der mir eine Weile jedes Mal im Ausgang nachlief. Vom Souli ins Rössli. Vom Rössli in die Cafete. Von der Cafete auf den Vorplatz. Nachlief. Jedes Wochenende. Ich war noch keine zwanzig, als ich das erste Mal vergewaltigt wurde.

Montag. Ich fahre mit meinem Fahrrad durch die Lorraine. Letzter Sommertag, kurze Hosen, Fussballtrikot. Ein Pizzalieferant fährt das Fenster runter, schaut aus seinem Betriebswagen zu mir rüber und pfeift mir nach. Kann er mich nicht wenigstens etwas origineller belästigen? Mein Mittelfinger in seine Fresse. Den Weg nach Hause, hasserfüllt, verunsichert auch, phantasiere ich, wie ich hätte besser reagieren können: Hintertür aufmachen, dass er aussteigen muss, Getränk ins offene Fenster leeren, eiskalt zwischen den Augen eine Schusspatrone platzieren. Aber ich hatte kein Getränk oder Waffe bei und auch keine genügend hohe Reaktionsgeschwindigkeit. Nur für den Mittelfinger hat’s gereicht. 

Montagabend zuhause diesen Text schreiben, mittlerweile ist die Wut in meiner Trauer versunken. Wird es jemals einen Tag geben, wo ich Männer nicht aushalten muss? Sogar wenn ich allein bin, halte ich Männer aus: Die Bilder beim Masturbieren sind gefärbt von meinen Erfahrungen mit Männern, meine Selbstwahrnehmung und mein Selbstbewusstsein sind geprägt von der male gaze. Im Bad liegt in meiner Schublade eine neue Packung Kaltwachsstreifen, die habe ich mir selbst geholt. Aua. Morgen kommt eine neue Foundation, die ich mir online für sechzig Franken gekauft habe. Genial. Nach metaphorischen zig Pokalen und Medaillen für so vieles, habe ich immer noch das Gefühl, ich kann nichts wirklich gut. Männer können ihn nicht fühlen, diesen Kummer: Er zersetzt das Herz zuerst und lähmt dann den ganzen Körper, ich kaue mir alle Fingernägel ab und sauge ihn aus meinen blutigen Fingerkuppen. Langsames Gift.

Ein Monat später arbeite ich an diesem Text, der Fakt, dass jeder Tag dazwischen bis heute nicht anders war, liegt schwer auf meinen Fingern, erledigt drücken sie in die Tastatur. Auf dem Notfall gewesen mit einer Freundin, der K.O.-Tropfen verabreicht wurden. Vier weitere Feminizide in der Schweiz seither. Ich schlafe viel und habe wenig Appetit. Müde von innen. 

Nein. Mein Leben wird nie frei sein von Männern. Sie haben sich eingefräst, wie Termiten, in meinen Körper, und sogar, wenn sie verschwinden, bleiben ihre Termitenmuster zurück. Ich fahre mit dem Zeigefinger über die feinen Termitenrillen auf meiner Haut, die tief in mein Fleisch reichen, und versuche mir vorzustellen, wer ich wäre, ohne diese Prägung. Wie viel von mir bleibt übrig, wenn ich mir die ganze Scheisse einfach abschminken könnte? In einem anderen Universum existiert eine Version von mir, geboren auf einem Planeten ohne Männer, frei von internalisierter Misogynie, frei von patriarchal-kapitalistischer Gehirnwäsche, ohne Trauma durch sexualisierte Gewalt. Ich mit einem Körper, der nur mir gehört. Würden diese Version von mir und diese die ich jetzt bin einander erkennen?