Asylpolitik Text: Lea Schlunegger | Bild: jin

#NoGEAS

Die Changen auf Asyl in Europa sind schon jetzt gering. Nun wird die Migrationspolitik der EU weiter verschärft. Der bietet sich noch die Möglichkeit, sich dieser problematischen Entwicklung zu entziehen. Eine Analyse der Reform des Gemeinsamen Europäischen Abschottungssystems.

Mit Medienmitteilung vom 14. August eröffnete das EJPD (Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement) die Vernehmlassung zu den von der Schweiz zu übernehmenden EU-Regelungen. Ziel der Reform sei «vor allem Länder wie Griechenland oder Italien [zu entlasten] – also jene Länder, die von der irregulären Migration am stärksten betroffen sind.» Mit der freiwilligen Übernahme des sogenannten Solidaritätsmechanismus will Beat Jans den Widerstand gegen die Übernahme der EU- Regelungen klein halten und damit von den menschenrechtlichen Bedenken ablenken. Denn erstens bedeutet «Solidarität» in diesem Kontext keineswegs Solidarität mit Menschen auf der Flucht, sondern Solidarität mit Staaten, welche schon heute massive Menschenrechtsverletzungen hinnehmen und aktiv fördern. Dem ursprünglichen Gedanken, mit der Reform einen Weg zu einer solidarischeren Verteilung von Asylsuchenden auf alle Mitgliedstaaten zu ebnen, wird die nun verabschiedete Form überhaupt nicht gerecht. Vielmehr setzt sie die ungleiche Verteilung nahtlos fort und wird zu noch mehr Ausschaffungen innerhalb des Schengenraums führen. Der «Solidaritätsmechanismus» ist eher ein Ablasshandel geworden, mit dem sich migrationsfeindliche Staaten von ihren asylrechtlichen Verpflichtungen freikaufen können. Er bedeutet die Möglichkeit, sich jeglicher Verantwortung für die vollständige Untergrabung des Recht auf Asyl in Europa zu entziehen. Darin sieht das SEM (Staatssekretariat für Migration) jedoch kein Problem und begrüsst die Reform.

«Mit dem EU-Pakt werden neue Regelungen und Massnahmen eingeführt, um das Asyl- und Migrationssystem krisenresistenter und effizienter (schnellerer Entscheide und konsequentere Ausschaffung) zu machen. Die irreguläre Migration nach Europa und die Sekundärmigration sollen reduziert werden. Ausserdem soll die Verantwortung gerechter auf die EU-Staaten verteilt werden. Etwa durch schnellere Asylverfahren an den EU-Aussengrenzen für Personen, die nur wenig Aussicht auf Schutz in der EU (Schnellverfahren ohne ausreichenden Rechtsschutz) haben, oder durch andere Massnahmen, wie die überarbeiteten Dublin-Kriterien. (Die Verschärfung der Dublin-Regeln wird zu einer hohen Belastung der Aussengrenz-Staaten führen. Die Schweiz kann damit mehr Menschen ausschaffen.) Zudem soll durch einen verbindlichen ( aber «flexiblen» = Ablasshandel) Solidaritätsmechanismus der Überlastung einzelner EU-Mitgliedsstaaten vorgebeugt werden. Ausserdem werden klarere Regeln für den Krisenfall (=Ausschalten jeglicher Menschenrechtlichen Garantie) eingeführt.»

Diesem Versprechen der gerechteren Verteilung werden die neuen Regelungen keineswegs gerecht. Stattdessen verschärfen sie die Situation für Menschen auf der Flucht. Die GEAS sieht insbesondere verkürzte Verfahren an den EU-Aussengrenzen vor, sowie besondere Haftanstalten um diese durchzuführen. Ausschaffungen in unsichere Drittstaaten, welche als «sicher» eingestuft werden, sollen vereinfacht und ausgeweitet werden. Die EU legalisiert damit die bereits bestehenden menschenunwürdigen Unterbringungszustände und Asylverfahren an den EU- Aussengrenzen(1).

«In der nun verabschiedeten Form ist das GEAS vom Irrglauben geprägt, dass sich Flucht und Migration durch noch mehr Entrechtung und Gewalt tatsächlich aufhalten lassen», sagt Simon Noori, Geschäftsleiter der Organisation sosf (Solidarité sans frontières) und Mitbegründer des Bündnisses NoGEAS.

Die neuen Regelungen: «Screening» und kurze Grenzverfahren
Wenn Asylsuchende von Grenzbehörden aufgegriffen werden, wird direkt ein sogenanntes «Screening» mit ihnen durchgeführt. Dabei werden sie identifiziert und ihre persönlichen Daten in die EURODAC-Datenbank aufgenommen – neu sieht die GEAS dafür nebst Fingerabdrücken auch Gesichtsbilder, biographische Angaben und Fotos von Identitätsdokumenten vor. Die Personen werden befragt, erhalten einen Gesundheitscheck und werden dann einer bestimmten Verfahrensart zugeteilt. Asylsuchende aus Ländern mit einer Anerkennungsquote von unter 20% unterliegen einem stark verkürzten Asylverfahren von zwölf Wochen, wo ihnen keine Rechtsvertretung zugestanden wird. Während der Grenzverfahren werden die Betroffenen in haftähnlichen Lagern untergebracht, zu denen die Zivilgesellschaft nur schwer Zugang erhält. Wenn in diesem Verfahren festgestellt werden kann, dass die Person eine «Verbindung» zu einem sicheren Drittstaat hat, muss auf das Asylgesuch nicht eingegangen werden. Die EU beabsichtigt zudem die Liste der Länder, welche als «sicher» gelten, grosszügig zu erweitern. Gemäss der Devise, dass Migration ein «Managementproblem» ist, kriegt die aktuelle «Dublin-III-Verordnung» den neuen Namen «Asyl- und Migrationsmanagementverordnung».

Bei besonders hohen Zahlen von ankommenden Geflüchteten, bei besonderen Umständen (rechtlich genannt «höhere Gewalt», wie z.B. COVID-19-Pandemie) und in weiteren rechtlich schwammigen Situationen wie «Instrumentalisierung(2)» kann ein EU-Mitgliedstaat eine «Migrationskrise» ausrufen. Er erhält dadurch mehr Spielraum, um Geflüchteten in den neuen Grenzverfahren abzufertigen. Ob dabei überhaupt auf Asylgesuche eingegangen wird, hängt von ihren Fluchtrouten ab. Haben Geflüchtete Länder wie die Türkei, Serbien oder Tunesien durchquert, die die EU zu «sicheren» Drittstaaten erklären wird, müssen ihre Gesuche gar nicht geprüft werden. Es ist zu befürchten, dass aufgrund der Entwicklungen in den letzten Jahren dieser «Krisenzustand» zum Dauerzustand wird und dadurch das Recht auf eine individuelle Prüfung der Asylgründe völlig untergraben wird.

Und wo macht die Schweiz mit?
Die Schweiz muss nur diejenigen Regelungen übernehmen, die eine Weiterentwicklung des Schengen-/Dublin-Besitzstand beinhalten. Sie trägt keine rechtliche Verantwortung für die menschenrechtlich problematischen Verfahren an den EU-Aussengrenzen, kann aber aufgrund der verschärften Dublin-Regeln, welche auch für die Schweiz gelten werden, Überstellungen quer durch Europa weiterführen und noch intensivieren.

Die Mehrheitsfähigkeit dieser neuen Regelungen innerhalb der EU und die unkritische Übernahme der Regelungen in der Schweiz zeigen auf, wie tief verankert der Gedanke einer legitimen Europäischen Vorherrschaft verankert ist. Denn mit der europäischen Abschottung werden nicht nur schutzsuchende Menschen ausgegrenzt und getötet. Das europäische Grenzregime sichert die Lebensweise für eine globale Minderheit, welche auf dem weltweiten Zugriff auf Ressourcen, Raum und Arbeitskräfte andernorts beruht. Erst dieses Grenzregime ermöglicht es den europäischen Gesellschaften, die negativen Effekte ihrer Lebensweise in äussere Räume zu externalisieren.

Bündnis #NoGEAS
Im Frühjahr 2024, nach dem die GEAS Reform in der EU ohne grossen Widerstand beschlossen wurde, haben sich verschiedene Organisationen, die im Asyl- und Migrationsbereich arbeiten, zusammengetan. «NoGEAS» nennt sich das Bündnis bestehend aus Aktivist*innen und Organisationen wie Solidarité sans frontières die Solinetze Zürich und Luzern, das Migrant Solidarity Network, Pikett Asyl, die Freiplatzaktionen Zürich und Basel, Seebrücke Schweiz sowie die Demokratischen Jurist*innen Schweiz. Zusammen kritisieren sie die drohende Abschaffung des Rechts auf Asyl und informieren über die Auswirkungen der Reform. Gleichzeitig baut das Bündnis eine Kampagne gegen die kritiklose Übernahme der GEAS-Reform in der Schweiz auf, die 2026 in ein Referendum gegen die für die Schweiz relevanten Verordnungen münden könnte.

(1) Vgl. Simon Noori, EU-Asylpolitik: Europa schafft sich ab in Sosf-Bulletin Nr. 1/2024.

(2) Vgl. www.amnesty.ch/de/laender/europa-zentralasien/weissrussland/dok/2021/beweise-fuer- brutale-gewalt-gegen-gefluechtete-menschen, abgerufen am 04.04.2024