Literarisches Text: lea | Bild: leo

Schulhauskinder

In der Erinnerung ist die Kinderwelt das Schulhaus. Im Schulhaus tanzt der Staub bei Sonnenschein. Es riecht dort nach gespitztem Bleistift. Im Schulhaus teilen die Kinder ihre Sorgen und ziehen die Münder zusammen, wenn sie beleidigt sind. Sie gehen zusammen aufs WC, machen kleine Schnitte in ihre Finger und drücken sie aufeinander.

Die Kinder sind Blutsgeschwister.

Sie laufen täglich nebeneinander ins Schulhaus, stellen ihre Schuhe auf die zwei Metallstangen und setzen sich an die Pulte.

Vom Schulhaus aus sieht das Draussen schön aus. Der Rasen, das kleine Häuschen, das modrig riecht und in dem die Kinder ihr Znüni essen. Die Sträucher und Hügel, auf denen der Schulhauswart Reissnägel verteilt. Erzählen die Kinder. Hinter den Sträuchern lästern sie über die anderen Kinder. Sie fragen sich durch die Blätter gegenseitig an: willst du mit mir gehen. Die Kinder schreiben auf dem Teerboden Liebesbriefe in der Farbe der beliebtesten Fussballmannschaft. Sie reiten auf grossen Pferden in die Liebesgeschichte oder träumen sich in Lebensgefahr.

Die Kinder stellen ihre Kraft unter Beweis und scheuern sich beim Hinunterklettern die Bäuche an den grossen Bäumen auf. Sie warten, ob sie beim Fussballspiel mitmachen dürfen.

Die Kinder verstossen einander.

Die Jungen mobben im Schulhaus und auf dem Schulhausplatz, auf dem Rasen bis nach Hause. Wer am Morgen mit dem Stock zur Schule will, darf nicht weinen, wenn die anderen Jungen sich auf ihn, den am Boden liegenden, setzen.

Die Kinder sind Blutsfeinde und die Lehrerinnen nicht zu allen gleich nett.

Einige Kinder erledigen die Hausaufgaben zu spät oder bringen die ausgeliehenen Schulmäppchen zerknittert zurück. Manche Lehrerinnen verzeihen die Fehler. Andere sind böse und streiten mit den Kindern. Sie lassen sie täglich ihre Fehler spüren. Die Lehrerinnen mögen die Kinder mit dem aufgeräumten Zuhause. Die zerknitterten Mäppchen sind dann weniger schlimm.

Im Schulhaus wissen alle, wer ein zerknittertes Mäppchen haben darf und wer nicht.

Am Mittag gehen die Kinder in Grüppchen nach Hause. Sobald die Kinder in ihre Häuser verschwunden sind, bleiben nur die leisen Geräusche von klapperndem Besteck. Die Kinder warten vor dem Telefon, bis der Mittag endlich zu Ende geht und sie einander anrufen dürfen. Bis da ist Langeweile, die Kinder strecken sich auf den Sofas und beäugen den Uhrzeiger.

Die Kinder verschwören sich gegen die Erwachsenen. Sie flüstern, treffen sich im kleinen Häuschen hinter dem Schulhaus, manchmal lügen sie oder lachen leise. Manchmal spielen sie Streiche und müssen sich später dafür entschuldigen.

Die Erwachsenen stören die Kinderwelt, sie platzen unangemeldet rein und vermiesen Abenteuer. Die Kinder sind untereinander nicht immer loyal. Sie haben zu viel, dass sie voneinander trennt. Das Mobbing und das Verlieben, die Knitter auf den Mäppchen, die aufgeräumten Zuhause.

Einmal im Jahr stellen sich die Kinder für ein Foto nebeneinander auf. Sie lachen mehr oder weniger in die Kamera. Das Foto hängt im Schulhaus an einer Wand, es steckt in einer Kiste oder liegt irgendwo am Boden, es steht gerahmt auf einem Regal. Das Foto wird manchmal hervorgeholt, es ist zerknittert und hat Fettflecken oder wurde längst vergessen. Das Foto ist die Erinnerung. An das Schulhaus und die Kinderwelt, an die Schnitte im Finger und den langsamen Uhrzeiger am Mittag. An die Ungerechtigkeit, die schon damals sonnenklar war. An das Gefühl von Heimeligkeit und Pflicht und den Bleistiftgeruch.