Pinkwashing Text: tym | Bild: Mivia

Gemeinschaften zerbomben im Namen queerer Liebe

Im November stand ein israelischer Soldat in Militäruniform auf Trümmern in Gaza und hielt eine Regenbogenflagge mit der Aufschrift «in the name of love» in die Kamera. Das Foto davon beschreibt er auf seinem Instagram-Account als «die erste Pride-Fahne in Gaza». Bis heute sind weitere ähnliche Inszenierungen aus Gaza aufgetaucht, die ebenfalls als Zeichen queerer Solidarität aufgefasst werden.

Wie genau sollen tonnenweise Bomben
auf Wohngebiete irgendwen befreien?

In Palästina kämpfen queere Menschen, wie überall auf der Welt, dafür, selbstbestimmt über ihre Körper, Begehren und ihre Beziehungsformen entscheiden zu können. Für Menschen in Gaza und in den besetzten palästinensischen Gebieten kommen zu unterdrückenden sozialen Normen jedoch noch viel grundlegendere Bedrohungen hinzu. Aufgrund der kolonialen Besatzung werden lebensnotwendige Bedürfnisse wie Sicherheit, Nahrung, Wasser oder Elektrizität von der Besatzungsmacht Israel kontrolliert. Zusätzlich zu dieser normalisierten Unterdrückung wird Gaza von der israelischen Armee seit neun Monaten gnadenlos angegriffen. Hunderttausende Menschen sind dabei bereits mit explizit genozidaler Absicht ermordet oder vertrieben worden. Unzählige Quartiere, Gemeinschaften und Familien wurden komplett ausgelöscht. Umso mehr erstaunt es, dass das Foto jenes Soldaten beispielsweise auf der Webseite des «Mannschafts-Magazins», einem LGBTIQ-Magazin mit Büro in Bern, noch immer als «ergreifende Geste» der Solidarität kommentiert wird. Abgesehen davon, dass Polizei und Militär die Einhaltung sozialer Normen in der Gesellschaft sicherstellen sollen und somit nie zur Befreiung queerer Menschen beitragen werden, stellt sich die Frage: Wie genau kann die Ermordung von zehntausenden Menschen «solidarisch» sein?

Staatliches Pinkwashing

Eine Erklärung für diese groteske Auslegung von Solidarität ist funktionierendes «Pinkwashing». Pinkwashing an sich beschreibt Formen der Unterdrückung oder Ausbeutung, die als Engagement für queere Menschen getarnt werden. Mittlerweile geläufige Beispiele sind Unternehmen, die sich während des Pride-Monats in Regenbögen kleiden und sich mit Diversity-Beauftragten Personen brüsten. Neben Unternehmen wird Pinkwashing auch von Staaten angewandt. Für Israel und die USA ist Pinkwashing seit längerem eine geläufige Strategie, um kriegerische Aggressionen zu legitimieren. Wenn israelsiche Soldat*innen auf zerbombtem palästinensischem Leben stehen und Regenbogenfahne zeigen, sind sie Teil dieser Strategie. Liebe und Queerness werden dabei vom israelischen Staat und den Militärangehörigen instrumentalisiert, um koloniale Besatzung zu legitimieren. Die Instrumentalisierung ist auch dann erfolgreich, wenn queere Gemeinschaften in der Schweiz diese Narrative nicht verurteilen, sondern sie sogar aktiv befördern. Dadurch findet koloniales und genozidales Pinkwashing weltweit Kompliz*innen.

Versuche der Instrumentalisierung von queeren Palästinenser*innen

Der Begriff Homonationalismus ist aufschlussreich zum besseren Verständnis von staatlichem Pinkwashing. Mit Homonationalismus ist die staatliche Absicht gemeint, Queerfreundlichkeit in eine nationale Identität einzuweben. Insbesondere westliche Staaten inszenieren sich mittlerweile nicht mehr lediglich als beispielhafte Demokratien, sondern eben gerne auch als ausserordentlich queerfreundliche Demokratien. Weder in der Schweiz noch in Israel bedeutet dies, dass queere Menschen deswegen sicher sind – im Gegenteil. Homonationalismus bedeutet nicht, dass Staaten tatsächlich daran interessiert sind, strukturelle Unterdrückung zu bekämpfen. Sondern daran, dass sie daran interessiert sind, den kolonialen Mythos «zivilisierter Gesellschaften» in Regenbogenfarben weiterzuführen. Dass auch Israel ein grundsätzlich queerfeindlicher Staat ist, hat beispielsweise Sarah Schulman bereits 2011 ausführlich dokumentiert1. Trotzdem  beschreibt sich Israel als die «queerfreundliche Insel» der Region. Um dieses Narrativ zu füttern, greifen israelische Politiker und Verbündete auf rassistische Bilder von arabischen Gesellschaften zurück und stellen diese als besonders queerfeindlich dar. Auf diesem Weg wird vermittelt, dass queere Menschen in Gaza in Todesgefahr seien und konsequenterweise ein Interesse daran haben sollten, von Israel befreit zu werden. In einem Essay verurteilt die Gruppe «Queers in Palestine» diese Vereinnahmung  und benennt die zugrundeliegenden Absichten:

«Wir lehnen die Instrumentalisierung unseres Queerseins, unserer Körper und der Gewalt ab, der wir als queere Menschen ausgesetzt sind, um unsere Gemeinschaften zu dämonisieren und zu entmenschlichen, insbesondere im Dienste imperialer und völkermörderischer Handlungen. Wir verdienen das Leben, weil wir Menschen sind, mit der Vielzahl unserer Unvollkommenheiten, und nicht wegen unserer Nähe zu kolonialen Formen liberaler Menschlichkeit.»

Homonationalistische Narrative stehen auch im Widerspruch zu den Lebensbedingungen queerer Palästinenser*innen in Gebieten, die offiziell von Israel verwaltet werden. Es ist bekannt, dass israelische Behörden palästinensischen Queers damit drohen, sie zu outen, um an Informationen zu gelangen (2).

Koloniale queere Solidarität überwinden

Das Bild des Soldaten mit der Regenbogenflagge in Gaza ist ein deutliches Beispiel dafür, dass queere Befreiung durch patriarchale, koloniale und kapitalistische Mächte nicht funktioniert. Solange die Befreiung einer Person oder Gruppe auf der Unterdrückung anderer basiert – wortwörtlich, wie wenn Soldaten auf zerstörtem Leben stehen, oder in weniger direkter Form – ist niemand frei. Das Bild und dessen positive Rezeption auch in der Schweiz zeigen ausserdem die anhaltende koloniale Grenzlinie innerhalb queerer Zusammenhänge auf: Homonationalismus verhindert nicht nur Solidarität mit palästinensischen Menschen, er lässt altbekannte koloniale Bestrebungen, wie die  «Befreiung unzivilisierter nicht-weisser Menschen» in Regenbogenfarben neu aufblühen.

Wenn queere Solidarität eine politische Kraft haben soll, dann muss sie sich kompromisslos für die Befreiung aller queerer Menschen einsetzen und Gewalt gegen diese entschieden verurteilen. Solange dies nicht der Fall ist, bleibt queere Solidarität ein Lippenbekenntnis. Das heisst, sie endet da, wo beispielsweise weisse Privilegien in Frage gestellt werden müssten, um Hierarchien abzubauen. Queere Befreiung muss ausserdem bedeuten, dass wir bedingungslos solidarisch sind mit allen Menschen, die gegen Unterdrückung und für lebensfördernde Bedingungen kämpfen. Dass wir darauf bestehen, dass alle Menschen frei von Kolonialisierung, genozidaler Gewalt und Kapitalismus die Möglichkeit haben, Existenzen und Bezugsformen gestalten zu können, die für sie passend sind. Und dass wir uns mit aller Kraft dagegen wehren, wenn versucht wird, uns durch Instrumentalisierung für koloniale Projekte einzuspannen.

Rund um den Pride-Monat attackieren reaktionäre Politiker*innen und Medien queere Solidarität mit Palästinenser*innen gerade besonders intensiv. Auch von solchen, die sich selbst als queer bezeichnen. Queere Befreiung zu fordern, ohne dabei koloniale Machtverhältnisse zu reproduzieren, ist offensichtlich für viele schwer zu ertragen. Es ist alarmierend, wie sehr dazu gleichzeitig anti-muslimischer Rassismus und Queerphobie geschürt werden. Doch es bezeugt auch, dass radikale queere Perspektiven bestehenden Machtverhältnissen gefährlich werden können.

No pride in Genocide!

(1) A documentary Guide to «brand Israel» and the art of pinkwashing, Sarah Schulman, 2011 (Mondoweiss)

(2) Against the Pinkwashing of Israel. Why supporting Palestinians is a queer and feminist issue, Ashley Bohrer, 2014 (Aljazeera)