Ultrarechte nutzen ökologisches Denken als trojanisches Pferd, um Anhänger*innen bis weit in die politische Mitte zu mobilisieren. Auf rechtsextremen Social-Media-Profilen werden fremdenfeindliche Inhalte mit vermeintlich grünen Anliegen in Verbindung gebracht. Der Attentäter von Christchurch, der 2019 fünfzig Moscheebesucher*innen ermordete, nannte sich in seinem Manifest selbst einen Ökofaschisten.
Der Begriff Ökofaschismus bezeichnet die Begründung von Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus und autoritären Machtstrukturen durch pseudoökologische Argumente. Migrant*innen werden als Naturzerstörer*innen stigmatisiert und Umweltschutz zur Legitimation von Ausgrenzung, Diskriminierung oder sogar Mord missbraucht. Auch für Faschist*innen ist Greenwashing ein rentables Geschäft. Dass sich die extreme Rechte Umweltgedanken zu eigen macht, ist jedoch kein neues Phänomen: Zur Zeit der anti-industriellen Romantik des 19. Jahrhunderts wurde die Natur hochstilisiert, protektionistische Nostalgie rechtfertigte faschistisches Gedankengut. Auch die Ideologie der Nationalsozialist*innen beinhaltete ein gewisses Umweltbewusstsein. So trat im Jahr 1935 etwa das erste gesamtdeutsche Umweltgesetz in Kraft.
Wir sitzen nicht im gleichen Boot
Die Covid-19-Pandemie schürt Rassismus. Ausdrücke wie «the chinese virus» verdeutlichen, wie auf der Suche nach Sündenböcken Menschen stigmatisiert und diskriminiert werden. So hat in den letzten zwei Jahren auch der Antisemitismus in breiten Teilen der Gesellschaft eine neue Legitimation erfahren. Im letzten Jahr wurden so viele antisemitische Angriffe verzeichnet wie in den letzten 40 Jahren noch nie. Der Holocaust wird bagatellisiert: Vermehrt waren an Corona-Demonstrationen sternförmige Pins mit der Aufschrift «ungeimpft» zu sehen. Eine Distanzierung von antisemitischen Inhalten sucht mensch in der Schwurbler*innenbewegung vergeblich. Diese Form der Duldung kann und muss als schweigende Zustimmung interpretiert werden, denn: Wer mit Nazis marschiert, marschiert mit Nazis.
Aussagen wie «zumindest die Natur profitiert von der Pandemie» könnten ironischer nicht sein, da sie vornehmlich von Menschen geäussert werden, die selbst kaum von den Folgen der Klimaerwärmung betroffen sind und die keine Angst davor haben müssen, auf Grund fehlender Gesundheitssysteme an Covid-19 zu sterben. Dass uns die Pandemie alle gleichermassen betrifft, ist eine Illusion: Wir sitzen nicht im gleichen Boot. Von der Corona-Pandemie betroffen zu sein ist genauso eine Klassenfrage, wie unter den Folgen der Umweltzerstörung zu leiden. Umweltschutz hat nicht per se eine kollektivistische Dimension. So propagieren zwar Ökobewegungen wie die Anastasia-Community ein ganzheitliches, naturverbundenes Leben in einer freien Gesellschaft, die Menschen und Natur gleichermassen respektvoll behandelt. Was als hipper, umweltbewusster Lebensstil daherkommt, trägt jedoch faschistoide Züge: Die sogenannten «Landsitze» sind Kernelement der Anastasia-Bewegung. Diese Grundstücke dürfen von fremden Personen nicht betreten werden, da sie sonst durch «fremde Schwingungen» gestört werden. Dieses Bild der «eigenen Scholle» ist nicht neu. Das Prinzip, dass jedes Territorium für eine spezifische «Rasse» vorgesehen sei, war Kernelement der nationalsozialistischen Ideologie, die heute in der Reichsbürger*innenbewegung ihre Fortsetzung findet. Ebendiese Reichsbürger*innen, die Staat und konventionelle Medien ablehnen und sich stattdessen auf das Deutsche Reich und völkische Traditionen berufen, haben sich heute unter die undurchsichtige Masse der Schwurbler*innen gemischt und verbreiten so ihre Ideologie.
Dass Esoteriker*innen und Rechtsextreme zurzeit gemeinsam auf die Strasse gehen, ist weder Zufall noch überraschend. Unter den Gesichtern der Esoterik und der Anthroposophie finden sich nicht wenige Vertreter*innen rassistischer Theorien. Die Lebensreformbewegung des 19. Jahrhunderts, die Heilpraktiken, Vegetarismus und Körperkult als Weg zu einem idealisierten Naturzustand erachtete, bildet die Grundlage für die heutigen neonazistischen, völkischen Bewegungen. Ökofaschist*innen setzen Umweltschutz mit sogenanntem Völkerschutz gleich. Migrant*innen werden als Bedrohung des «natürlichen Volkskörpers» betrachtet und Ausschaffungen als Wohltat an Gesellschaft und Umwelt verkauft. Als Beispiel hierfür gilt die Ecopop-Initiative, die das Schweizer Stimmvolk im Jahr 2014 abgelehnt hat. Die Initiative zielte darauf ab, durch einen radikalen Zuwanderungsstopp die «natürlichen» Lebensgrundlagen zu schützen.
Der Mensch als Parasit
Rechte und Esoteriker*innen propagieren eine sogenannt «ganzheitliche» Weltwahrnehmung, in der Welt als System aus Einheiten wie Stamm, Volk und Nation besteht. Innerhalb dieser Einheiten wird eine Homogenität angestrebt, die keinerlei Raum für Diversität bietet. Analog zum Verhältnis zwischen Zelle und Organ wird die Beziehung des Individuums zur Gesellschaft gedeutet: So, wie Krebs eine Bedrohung für den menschlichen Organismus darstellt, gelten Andersdenkende als systemgefährdend und müssen mundtot gemacht werden. Carl Amery, ein Schriftsteller und Mitbegründer der deutschen Partei «Die Grünen», sieht die Aufgabe der Ökologie in der Überwindung des Anthropozentrismus, der den Menschen als Mittelpunkt der Welt versteht. Der Biozentrismus, der im Gegensatz zum Anthropozentrismus die Erde als beseelten Organismus beschreibt und Menschen, Tiere und Pflanzen auf eine Ebene stellt, trägt menschenfeindliche Züge: Es wird das Bild eines Menschen gezeichnet, der die Erde in parasitärer Art und Weise befallen hat. Aussagen wie «wir sind das Virus, Corona die Rettung» verdeutlichen, wie misanthropische Ideologien in die Corona-Debatte verstrickt sind. Dieses Gedankengut bildet die Grundlage für sozialdarwinistische Theorien, die die natürliche Selektion als Schutzmechanismus der Erde vor der drohenden Überbevölkerung sehen. Solche Theorien sind insofern kritisch zu betrachten, als dass sie sich gegen die Schwächsten der Gesellschaft richten und dadurch gesellschaftliche Exklusion und Diskriminierung salonfähig machen. Sie legitimieren die auf rassistischen und xenophoben Kriterien beruhende Wertung von Menschenleben. Der Mythos der Überbevölkerung ist jedoch nicht nur ein Hirngespinst der extremen Rechten: Auch der bürgerliche Club of Rome, der im Jahr 1972 den Bericht «Grenzen des Wachstums» veröffentlichte, sowie Persönlichkeiten der Tiefenökologiebewegung nehmen Bezug darauf. «Jeder Einwanderer von einem armen in ein reiches Land schaffe ökologischen Stress», weshalb die Überfremdung zwingend verhindert werden müsse.
Öko ist nicht per se links. Trotzdem erachten Linke die Umweltdebatte oft fälschlicherweise als «ihr» Thema. Im Vergleich zum Neofaschismus stellen deshalb Elemente der ökofaschistischen Ideologie in der linken Szene oft das grössere Problem dar, da sie differenziertere Kritik und eine gründliche Auseinandersetzung mit der Geschichte der Umweltbewegung erfordert. Bleiben wir also kritisch und scheuen wir uns nicht davor, grün als braun zu entlarven.