«Stone island doppelchünnis prügled sich de weg frei, aber mis hemd isch bügelfrei» spricht Göldin von seiner Bühne herab in das mit beiden Händen fest umklammerte Mikrofon. Tatsächlich trägt er ein Hemd, auch wenns so zerknittert ist, dass von bügelfrei nicht die Rede sein kann. Grosskariert und in bürgerlicher Farbpalette gehalten, wirkt es ungewohnt brav für einen, der an dem Abend hergekommen ist, um den Soundtrack zum kommenden Aufstand zu liefern. Es ist Freitagabend und der Dachstock hat sich die Mühe gemacht, zwei musikalische Sahnehäubchen nebeneinander zu platzieren. Gross angekündigt sind die Goldenen Zitronen und auf dem Plakat etwas an den Rand gedrängt «Göldin & Bit-Tuner». Musikalisch sind letztere in der Tat gleich auf mehrere Arten ein Randphänomen: Ostschweizer mit unüberhörbarem Akzent produzieren CH-Rap, der sich textlich um marginalisierte Subkulturen wie Hooligans und verrohte Jugendliche aus der Innenstadt dreht.
Im rhythmischen Schlepptau
Nun stehen die zwei auf der Dachstockbühne, ein bisschen eingeklemmt zwischen dem Kabinett an Instrumenten, das schon für die Goldenen Zitronen bereitsteht. Was dort oben geschieht ist mittlerweile Routine für das Duo, der Eindruck lässt sich das ganze Konzert über nicht abstreifen. Die fein aufgebauten und erschütternden Beats von dem Herrn Bit-Tuner schallen durch den Raum als gäb’s kein Morgen und Göldin aka Daniel Ryser schleppt sich mit stoischer Stimme darüber, immer gerade noch knapp im Takt. Da werden die besten Tracks aus «Schiiwerfer» abgeliefert, dem Schweizer Album der Dekade, durchsetzt von ein paar Stücken aus der eher verdientermassen untergegangenen EP «D.R.A.M.A.». An all dem gibt’s überhaupt nichts auszusetzen, aber der Funke will an dem Abend nicht so richtig springen.
Keine Jugend, kein Speed
Der Dachstock funktioniert als Fettabscheider und schwemmt die Jünger des Depro-Hip-Hop-Duos vor die Bühne, wo sie mit viel Bewegungsfreiheit die ketamininspirierten Verrenkungen nachahmen dürfen, die Göldin auf der Bühne zum Besten gibt. Im hinteren Teil der langen hölzernen Stube tummelt sich der ruhige Grossteil des Publikums, etwas zu früh hier oben gelandet für die Goldenen Zitronen aber eigentlich auch viel zu früh für den Abfuck-Lifestyle-Sound, der jetzt durch die dicke Luft stösst. «D’nünzger chömet zrüg im grosse stil, es verlornes jahrzehnt, e jugend uf speed, ungwollt subversiv», verkündet Göldin im All-Time-Klassiker «Plastik Welt», während sich das wahre D.R.A.M.A. dieses Abends entfaltet: Die zwei Ostschweizer sind vergeudet als Einstieg in eine Nacht, halb elf zu früh für ihren schwermütigen, zwischen Wut und Melancholie pendelnden Untergrund-Sound. Das Publikum zu nüchtern für die benötigte Ekstase, die das fehlende Tempo der Tracks kompensieren könnte.
Rave to the grave
Ausserdem gibt es eine historisch erwachsene Schwierigkeit, die die beiden in Bern noch eine Weile begleiten dürfte: Seit ihrem Auftritt im Pferdestall einen Stock tiefer, vor mittlerweile zweieinhalb Jahren, stehen sie im Schatten dieses kollektiven Abrisses. Der Abend machte Göldin und Bit-Tuner zu Lokallegenden, doch diesem Ruf hinken sie seither etwas hinterher. Verglichen damit klebt an dem Auftritt im Dachstock das Etikett des Mittelmässigen. Doch auch an diesem Oktoberfreitag kommt es noch zu einer frohen Überraschung in Form der Ankündigung eines neuen G&BT-Albums (13.12. save the date). Angeheizt wird die Erwartungshaltung von den zwei Tracks, die als Vorgeschmack durch den Raum brettern. «Rave to the grave» atmet der hemdsärmlige Typ ins Mikrofon und dann drückt Bit-Tuner mit gefühlten 120 Schlägen pro Minute den Beat durch die Lautsprecher, rücksichtslos und in bestem Warehouse-Style der neunziger Jahre. Göldin predigt in monotoner Manier ein ewig gleiches Sprechgesang-Mantra darüber und plötzlich ist Feuer da. Erinnerungen an jenen vergangenen Abend, an dem Stühle durch die Luft flogen und Menschen sich an Rohren über die Köpfe anderer schwangen. Wir sehen uns wieder, dann hoffentlich roher und verbrauchter und vielleicht besser in kleinerem Rahmen.