Rezension Text: sak

Ein Magazin, 3500 Kanonen und keinen Cent Sold

Das KSB Kulturmagazin mischt sich mit minimalem Aufwand unter die Weltliteratur. Mit dem «KSB Leseheft» gelingt nicht nur das buchgestalterische Zitat des Reclam-Hefte-Formats, sondern auch die Erwiderung, dass diejenigen, die nicht genau wissen was Kulturjournalismus eigentlich sein soll, auch einfach Literatur sagen können.

Die vom KSB Kulturmagazin haben das Internet ausgedruckt und in eine handliche Form gebracht. Entstanden ist ein kleines, dünnhäutiges, blaugrünes Softcover-Büchlein. Von der Postur her: Reclam-Heft, Universalbibliothek. Nur eben blau- grün, nicht gelb und die Seiten einen merklichen, halben Fingerdick breiter. Das Büchlein ist ein Auszug der im Verlaufe der letzten beiden Jahre auf ksb.ist veröffentlichten Beiträge. Eine Sammlung von Aufzeichnungen aus der Scheinselbständigkeit, einige Entgleisungen und Tagträume sind auch dabei. Daneben Skizzen eines sich verbrauchenden Lebens, oder Kulturjournalismus als Erfahrungsbericht. Mit Ausgangspunkt Speichergasse 29, vor der für immer geschlossenen Bluesbar, landet man via Mogadischu, Junkerngasse und Heiliggeistkirche letztlich auf der menschenleeren Piazza Venezia in Rom. Die 22 Kurz- und Kürzesttexte konversieren über Kunst (im Progr), zeigen was die Schweiz mit Herman Melville gemeinsam hat (und was nicht), oder enden damit, dass Autogrammkarten von Bundesräten im Internet bestelltwerden. Ein wilder Haufen Text also, der sich aus den Untiefen der Timeline emporscrollt, um das Korsett des Reclam-Hefts anzuprobieren.

Das kann auch scheitern. Weil Büchlein haben andere Gesetze als das Netz. Das zufällige Aufschlagen zum Beispiel, an einem beliebigen Tag. Aktualitätsbezug, der ohne Darüberhinaus hier und jetzt schreit, ist spätestens in der Buchform entkräftet, die panische Dringlichkeit des Akuten verdampft. Solche Gestaltgesetze gelten auch hier und für diejenigen, die sich nicht daran halten. Der Auswahl vom Netz ins Buch zum Opfer gefallen sind wohl auch deshalb vorwiegend die auf konkrete Ereignisse der Berner Kulturagenda bezugnehmenden Einträge, die Plattenempfehlungen und die Veranstaltungshinweise. Ein guter Entscheid.

Aussetzen und Gefahrlaufen

Wo im Netz Kulturjournalismus als Erfahrungsbericht praktiziert wurde, tritt nach der Übertragung in die Buchform das Berichtende noch weiter hinter die Erfahrung zurück. Erfahrung – das wird mit diesem Zugang freigelegt – heisst nicht nur bei KSB (aber hier mitdargestellt und zuweilen auch eingesetzt) die beim Erinnern letztlich unentwirrbare Vermengtheit von Erlebtem und Erfundenem. Journalismus, Autofiktion, Gebrauchsliteratur oder Fadeout der Postmoderne; die Kategorisierungen – Werkzeuge von Kritik und Identität – gehen einem beim Versuch Fiktion und Realität sorgenfrei zu trennen selbst durcheinander.

Obwohl in «Durchgehend warme Küche», so der Titel des Büchleins, Erfahrung zwar noch mehr als im Netz zum «nicht ohne mich» des Schreibens wird – absolutgesetzt wird sie nicht. Was achtlos assoziiert und spontan dahergesagt daherkommt, ist ein Erarbeitetes. Nicht als geschöpfte Quelle, nicht als sauberes Zitat. Autor*innenschaft ist hier Signature Move. Doch auch der muss antrainiert werden. Precious bits and pieces also, schwungvoll dahingeworfen, nur scheinbar mühelos ausgekotzt, anverdaut, aber mit Haltung: Für Anonymität, nicht Autonomie. Für das Urbane, gegen das Idyll. «Durchgehend warme Küche», das ist gastronomisch gesehen der Gegenentwurf zu «Heute: Geschlossene Gesellschaft», und kann als Praxis einer solchen Haltung in Betracht gezogen werden. Jedenfalls solange sich die durchgehend warme Küche nicht drinnen, in den eigenen vier Wänden befindet, umzingelt draussen, von anderen monadisch-geschlossenen Szenen und Gesellschaften. So lange kann noch Hoffnung gegen das sinnleere Spiel der Distinktion und Distanzierung gesetzt werden, auf dass man dem Fremden, dem ungewohnt-unpassenden und damit auch sich selbst begegnet. Das ist notwendig ein sich Aussetzen und Gefahrlaufen. Dass dies gelingt, darin liegt das Verdienst dieses Magazins, das sich auch in diesem Büchlein bewahrt. Es gibt Selbst, es gibt Befindlichkeit, es gibt Störung. Zusammen dann aber nicht Selbstbefindlichkeitsstörung, sondern Hunger auf Erzählung. In Frage steht die Welt, das Ich, nicht das Meins, nicht das Mich.

Niedriges Tablar

Das Schicksal des KSB Lesehefts haben die buchgestalterischen Entscheidungen schon angebahnt. Bei den abgehalfterten unter den Hipstern wird es auf demniedrigsten Tablar des Bücherregals, zwischen den dort abgelagerten Reclam-Heften zu stehen kommen. Rücken an Rücken mit Goethe und Schiller wird es blaugrün mit gelb kontrastieren, einen halben Fingerdick hervorlugen und seine Verwirrung stiften.

Die Universalbibliothek von Reclam umfasst heute 3500 Titel, papiergewordener Kanon der Weltliteratur, gelbe Kanonen, Mittelschüler*innen unter Beschuss. Vor gut 150 Jahren, am 9. November 1867, wurde das ewige Verlagsrecht aufgehoben. Die deutschen Klassiker waren auf einen Schlag gemeinfrei, das Monopol des Cotta Verlags dahin, den Inhaber*innen von Autor*innenrechten musste nach Sperrfrist – dreissig Jahre nach ableben des Autorkörpers – keine Tantiemen mehr bezahlt werden. Das war der Startschuss für dieses Arsenal, die Massenproduktion des günstigen Buchs mit dem geistigen Eigentum Entglittenem. Urheberrechtlich gesehen sind die Reclam-Hefte sowas wie ein Vorgänger des Internet. Die KSB Redaktion ist mit ihrem Büchlein also steil aber ganz passend eingestiegen: Auf dem Tablar derjenigen Autor*innen, die für ihre Schreiberei keinen Cent sehen. Aber «Alle Rechte liegen bei den Autor*innen», heisst es auf der Innenseite des Einbands dann doch noch – Verweis auf eine ebenso erhebliche wie erfreuliche Differenz zu den Klassikern, und für die Redaktion von KSB Problemstellung und Übungsanlage zugleich: Sie sind noch nicht tot!

KSB Redaktion: «Durchgehend warme Küche; KSB Leseheft». Bern, 2020. . Zu lesen ist KSB auf www.ksb.ist Das Leseheft gibt es hier: www.ksb.ist/leseheft