Wirtschaftlicher Aufschwung kennzeichnete die Nachkriegszeit in der Schweiz.
Und grosse Bauvorhaben führten zu einem grossen Bedarf an Holz. Um den Schweizer Einfamilienhaustraum verwirklichen zu können, war schnell wachsendes, stabiles Konstruktionsholz eine wichtige Ressource. Da in den gut erschlossenen Wäldern im Mittelland jedoch vorwiegend ein Buchenbestand und allenfalls Weisstannen anzutreffen waren, entschloss die Forstwirtschaft, sich den Bedürfnissen anzupassen und die schnell wachsende Fichte aus der Bergregion anzusiedeln. Schnelles Wachstum, gute Baueigenschaften und wenig Pflegeaufwand versprachen, mit der Fichte einen guten Ertrag aus den Waldbeständen zu erwirtschaften. Monokulturen wurden angelegt. Die Fichte wurde zur wirtschaftlich ertragreichsten Baumart erkoren und bestimmt seit Mitte des 20. Jahrhunderts das Bild der Wälder im Mittelland.
Waldsterben?
Heute leben wir mit den Konsequenzen dieser planmässigen Ansiedelung der Fichte. Monokulturen laufen schneller Gefahr, von Krankheiten befallen oder von Schädlingen angegriffen zu werden. Die natürlichen Schutzmechanismen sind nach der Umsiedelung meist nicht mehr an den neuen Standort angepasst. In der Folge zieht der eingeschleppte Buchdrucker, ein Borkenkäfer, durch die Bestände und vernichtet grossflächig den Fichtenwald. Die Wurzeln der Fichte reichen nicht bis in die tiefen Grundwasservorräte, und die jährlich ansteigenden Temperaturen machen Bäumen aus höheren und kälteren Regionen zu schaffen. Die Bilder der Folgen sind bekannt: «Waldsterben». Das leichte Ansteigen der Temperaturen durch die Klimaveränderung genügt, dass Baumarten, welche sich nicht an ihrem optimalen Standort befinden, Probleme bekommen.
Forstbetriebe sind auf einen regelmässigen und kalkulierbaren Ertrag angewiesen. Ein plötzliches Sterben einer so bedeutenden Baumart führt zu einem kurzfristigen Überangebot auf dem Holzmarkt und vernichtet Erträge, mit welchen wirtschaftlich bereits gerechnet wurde. Nicht der Wald stirbt, die Erträge der Forstindustrie sterben.
Wer heute durch die Wälder um Bern spaziert, findet die Antwort der Forstindustrie auf das Verschwinden der Fichtenkulturen: Die grossen Lücken, die durch die Kahlschläge der noch gesunden Bäume entstanden sind, werden mit strategischen Pflanzungen neu aufgeforstet. Informationstafeln der Forstbetriebe informieren über die Vorgänge. Der «Zukunftswald» wird aufgebaut. Das Ziel: Ein Wald, der den Ungewissheiten und Veränderungen der Klimakrise standhalten kann. Die Mittel: Gastbaumarten.
Douglasien, Tulpenbäume, japanische Lärchen und Roteichen füllen die Lücken der Fichte. Alles Baumarten, die Trockenheit vertragen, Wärme aushalten, schnell wachsen und gute Konstruktionseigenschaften aufweisen. Ausserdem sollte sich die geeignete Baumart, sobald sie im Bestand etabliert ist, ohne grosse Eingriffe der Waldarbeitenden vermehren.
Gäste, die bleiben sollen
In der Forstwirtschaft werden diese neu eingeführten Baumarten als Klimabäume oder Gastbaumarten betitelt. Diese Bezeichnung wird jedoch ausschliesslich im forstlichen Sprachgebrauch verwendet. Unter Ökolog*innen, Botaniker*innen und allgemein in der Wissenschaft wird hierfür der passendere Begriff «Neophyt» verwendet. Neophyten sind Pflanzen, welche seit der sogenannten Entdeckung Amerikas in Europa angesiedelt oder eingeschleppt wurden. Grob lassen sich Neophyten in zwei wesentliche Kategorien unterteilen: invasiv, oder nicht invasiv. Ein Neophyt, der als invasiv klassifiziert wird, vermehrt sich selbständig in den Naturräumen und verdrängt die einheimische Flora.
Das Thema Neophyten wurde in den letzten Jahren immer präsenter. Kantone und Städte schaffen eigene Stellen, um der Verdrängungs- und Ausbreitungskraft dieser Pflanzen entgegenzuwirken. Frühwarnsysteme wurden entwickelt und verschiedene Stellen, zum Beispiel das nationale Daten- und Informationszentrum der Schweizer Flora «Infoflora», bewerten Neophyten und ihr Potenzial betreffend Invasivität.
Abzuschätzen, wie sich diese neuen Baumarten in unseren Wäldern verhalten werden, ist schwierig. Was aber schnell klar wird, ist, dass viele der Eigenschaften, welche einen guten Gastbaum ausmachen, Parallelen zu den Kriterien aufweisen, welche die invasiven Neophyten kennzeichnen: schnelles Wachstum, die Möglichkeit sich selber zu vermehren, sich gegenüber anderen Baumarten und in Bezug auf Hitze, Trockenheit und Schädlinge behaupten. So wurde beispielsweise der Douglasie in Österreich invasives Potential nachgewiesen.
Die Fichte ist am Verschwinden, weil sie sich nicht an die Veränderungen an ihrem neuen Standort im Mittelland angepasst hat. Diese Lücke nun mit Baumarten aufzuforsten, welche aus Nordamerika und Asien stammen, ist eine Strategie mit vielen Risiken. Sie versprechen zwar gute Erträge für die Industrie, schwierig abzuschätzen sind jedoch die Gefahren für den Wald und dessen Flora und Fauna.
Solche grossflächigen Experimente im Wald sind einschneidend und von grosser Tragweite. Man rechnet – anders als in der Landwirtschaft – nicht von Jahr zu Jahr. Die Entscheidungen, welche heute getroffen werden, beeinflussen die nächsten fünfzig bis hundert Jahre.
Unser Stadtwald
Werfen wir also einen Blick auf Bern. Die Stadt Bern pflanzt seit einiger Zeit in Siedlungsgebieten keine Bäume mehr, welche aus Nordamerika oder dem ostasiatischen Raum stammen. Der Grund: Viele dieser Arten wurden zunächst als unbedenklich eingestuft, Jahrzehnte später wurde dennoch invasives Potential erkannt. Die Stadt Bern besitzt allerdings nur sehr wenig Wald. Der Bremgartenwald, der Grosse Forst, der Könizbergwald und die meisten anderen Wälder auf dem Gebiet der Stadt Bern gehören der Berner Burgergemeinde. Die Berner Burgergemeinde ist eine der führenden Forstbetriebe in der Schweiz. Als Grossbetrieb und eine der wenigen Schweizer Holzproduzentinnen, die noch schwarze Zahlen schreiben, prägt sie die Entwicklung der Wälder im Mittelland massgeblich mit. In ihren Wäldern findet man das komplette Spektrum der Gastbaumarten.
Auch heute ist Holz ein wichtiger Rohstoff. Er hat eine gute Klimabilanz, ist nachhaltig und kann regional produziert werden. Die Abwägung zwischen wirtschaftlichem Ertrag und Umweltschutz ist ein Thema, welches seit der industriellen Bewirtschaftung die Forstarbeitenden spaltet. Heute treffen wir einen Wald an, der geprägt ist von den Fehlentscheiden der vorhergehenden Generation von Forstarbeitenden. Eine primär wirtschaftlich motivierte Aufforstung läuft Gefahr, dass zukünftige Waldnutzer*innen mit den folgenreichen Konsequenzen heutiger Fehler arbeiten müssen.
Die Alternative
Zum Einsatz von Gastbaumarten gibt es eine Alternative: die Bepflanzung mit sogenannten Ökotypen. Viele Bäume weisen regionale Besonderheiten auf, die nicht auf die Baumart, sondern auf die ortsspezifischen Umweltgegebenheiten zurückzuführen sind. Der Genpool wird zwar nur sehr langsam erweitert, jedoch passen sich Baumarten derselben Art dadurch an gewisse klimatische Bedingungen sehr gut an. Deshalb kann es zum Beispiel sein, dass eine Weisstanne, die auf der Alpensüdseite wächst, besser an warme Sommer angepasst ist als eine Weisstanne im Mittelland. Die Alpen verhindern seit tausenden von Jahren den genetischen Austausch. Beide Arten gehören jedoch zu der Spezies Abies alba. Von vielen einheimischen Baumarten finden sich in Europa unterschiedliche Ökotypen. In der Schweiz werden diese auch bereits eingesetzt, jedoch nur selten in den stark bewirtschafteten Wäldern des Mittellandes.
Auch in den Medien ist der Wald immer mal wieder ein Thema. Doch selten werden forstindustrielle Kontroversen diskutiert. Diese werden fast ausschliesslich innerhalb der Branche geführt. Das muss sich ändern. Nur durch die öffentliche Debatte der Kontroversen kann die Gesellschaft Einfluss darauf nehmen, wie sich unser Wald in Zukunft entwickeln soll. Viele Menschen sehen unsere Wälder als wichtige Rückzugsräume. Ihre Wichtigkeit für die Biodiversität und die CO2-Speicherung ist unumstritten. Umso wichtiger ist es genauer hinzuschauen, wie wirtschaftlich motivierte Betriebe das Bild unserer Wälder prägen. Sei es der Forstbetrieb der Burgergemeinde in Bern, sei es andere Waldbesitzende.