Rechtsextremismus Text: ffg | Bild: jin

Helft den Rechten nicht noch mehr

Europa und die USA sind mit erstarkenden autoritär-nationalistischen Parteien konfrontiert, die zentrale gesellschaftliche Konsense über Bord werfen wollen. Ihr Erfolg geht massgeblich auf sozioökonomische Ursachen zurück und droht um so grösser zu werden, wenn die «Traditionsparteien» rechte Parolen übernehmen. Ein Überblick über das Erstarken des (nicht so) neuen Rechtsextremismus.

Die «Partij voor de Vrijheid» von Geert Wilders regiert seit Juli 2024 die Niederlande in einer Koalitionsregierung. Die «Fratelli d`Italia» sind schon seit 2022 stärkste Kraft in Italien und stellen mit Giorgia Meloni die Ministerpräsidentin. Im Juli 2024 kratzte der Front National von Marine Le Pen an der Macht in Frankreich, im September gewann die FPÖ in Österreich die Parlamentswahl und die AfD in Deutschland legte bei den Landtagswahlen in drei Bundesländern massiv zu. Zu guter Letzt wurde Donald Trump letzten Monat zum zweiten Mal zum US-Präsidenten gewählt. Es ist unübersehbar: Rechtsaussen-Parteien waren in verschiedenen Ländern die Sieger der letzten Wahlen und stehen weniger denn je in der «Schmuddelecke», im Gegenteil: Sie sind auf dem besten Weg, salonfähig zu werden. Allerdings braucht es für das Salon-Ticket neben Wahlsiegen auch Helfer*innen, die zum Tee laden – «Traditions»- oder «Volksparteien» also, die mit ihnen zusammenarbeiten oder deren inhaltliche Narrative übernehmen. Die Schweiz kann davon ein Lied singen, die SVP gilt europaweit als Vorbild für andere Rechtsaussenparteien, was populistische Rezepte und das erfolgreiche Prägen der Landespolitik angeht. Doch weit über die Schweiz hinaus finden sich mittlerweile willige politische Parteien für autoritär-nationalistische Politik, wie uns beispielsweise die EU-Parlamentswahlen 2024 zeigen. Während EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und EVP-Fraktionschef Weber sich mit Rechtsaussen-Vertreter*innen zusammensetzen, um Ideen zur «Festung Europa» zu wälzen oder Klimaschutzgesetze zu verwässern, führt SPD-Innenministerin Faeser in Deutschland Polizeikontrollen an allen Landesgrenzen ein und beschränkt Rechte für Asylsuchende. CDU und FDP übernehmen mühelos rechtspopulistische Parolen gegenüber Migrant*innen und stimmen in das Kulturkampfgeheule der AfD ein; die Grünen werden zum politischen «Hauptgegner» erklärt. Klimaschutzaktivismus und die Selbstbestimmung in Geschlechterfragen werden zum Wahn einer akademisierten, lebensfremden (und seit Oktober 2023 auch noch antisemitischen) Bubble, die eine Meinungsdiktatur über die brav arbeitenden Bürger ausüben wollen. Gerade in Deutschland offenbart sich in rasantem Tempo, dass breit akzeptierte und oft gesetzlich verankerte Konsense geopfert werden, wenn es dem kurzfristigen politischen Kalkül dient. Es scheint sich das abzuspielen, was die Politikwissenschaftlerin Karin Priester «Akkommodation» nannte – dass sich etablierte Parteien als Reaktion auf das Erstarken rechtspopulistischer Akteure diesen anbiedern und sich an ihre Narrative anpassen, anstatt sie als dumpf und vereinfachend zu benennen und zurückzuweisen. Die auf den 23. Februar 2025 vorgezogene Bundestagswahl beschert uns nun Weihnachts-Wahlkampf, in dem sich zeigen wird, mit welchen Themensetzungen die Klassisch-Konservativen punkten wollen.

Neoliberale Wirtschaft, kaputter Sozialstaat,
Individualismus: Kontrollverlust
Wie konnte es dazu kommen, dass lange progressiv geführte Debatten öffentlichkeitswirksam von rechtsextremen Provokateur*innen verteufelt und diese dabei von etablierten Akteur*innenen auch noch bestätigt werden? Zunächst ist festzuhalten, dass autoritäres, antipluralistisches Gedankengut nie verschwunden war, sondern einerseits latent blieb, andererseits zwischen 1990 und 2021 in mindestens 219 Morden (!) in Deutschland zum tödlichen Ausdruck kam.(1) Ausserdem hatten und haben die genannten «etablierten» Akteure im politischen Feld grossen Anteil am Aufschwung der Rechtsextremen, und zwar durch ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik: Seit den 80er-Jahren führten neoliberale «Reformen» und das Stutzen des Sozial- und Wohlfahrtsstaates auf einen Wettbewerbs- und Strafstaat zur «Entsicherung» von grossen Teilen der Gesellschaft, wie der Soziologe Wilhelm Heitmeyer schreibt. Branchen-Verträge wurden aufgelöst und Arbeitsbedingungen flexibilisiert, staatliche Betriebe privatisiert, Ansprüche auf Arbeitslosengelder an Bedingungen gekoppelt. Der Druck des globalisierten Wettbewerbs nahm zu, führte zu noch mehr Konkurrenzdruck und macht weder vor äusserer, noch vor «innerer Landnahme» halt: die kapitalistische, also eine profit-, konkurrenz- und effizienzfokussierte Logik breitet sich auch ausserhalb der Wirtschaft auf soziale, kulturelle, psychologische und weitere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens aus. Verunsicherung, Angst, Desorientierung waren (und sind) die Folge, immer mehr Menschen erlebten einen allumfassenden «Kontrollverlust», wie Heitmeyer es nennt. Der Soziologe Ralf Dahrendorf hatte deshalb bereits 1997 ein «autoritäres Jahrhundert» vorhergesagt: Aus sozialen Zusammenhängen gerissene Individuen werden anfällig für das Versprechen einer vermeintlichen Wiederherstellung von Ordnung. Gerade in strukturell benachteiligten oder von Wandel betroffenen Regionen mache sich dieser Kontrollverlust besonders bemerkbar.

Das Warten auf den rechten Moment
Eine zunehmende sozioökonomische Verunsicherung macht Menschen also anfällig für die «autoritäre Versuchung». Wiederkehrende negative Gefühle bleiben aber zunächst oft diffus und wenden sich nicht automatisch gegen die «Fremden». Die Verwandlung in Wut, Zorn, Hass oder Ressentiment gegen eine «feindliche Gruppe» braucht einen Bewirtschafter, jemanden, der diese Gefühle schürt: Sehnlichst auf die Gelegenheit wartend, wurde die 2013 gegründete AfD rasant von Akteur:innen der «Neuen Rechten» übernommen. Die Bezeichnung «Neue Rechte» ist dabei heikel – denn weder handelt es sich bei ihr um eine homogene Gruppe, noch ist sie sonderlich «neu». Zentral ist, dass ähnlich tickende Figuren aus ihren «vorpolitischen» Feldern und «klassischeren» Rechtsaussen-Organisationen hervorschnellen konnten, wo sie bereits eine alternative Öffentlichkeit gelebt hatten – über Zeitschriften, Verlage, Think-Tanks, in rechten Kameradschaften, in der Neonazi-Partei «Heimat» (damals NPD). Nun bot ihnen die AfD ein unvoreingenommenes Gefäss, um ihr vor dem Hintergrund von Finanz- und Wirtschaftskrisen einen «Volk vs. Eliten»-Populismus einzuhauchen. Und das war nur der erste ideologische Schritt: Über Bewegungen wie die «Pegida» konnte unverschämt migrationsfeindliche Stimmung in der Partei zunehmend Fuss fassen. Hinzu kamen das Leugnen des Klimawandels, traditionale Familienbilder, Männlichkeitsbeschwörungen, ein homogener Volks-Begriff und das anti-pluralistische Gesellschaftsbild. Ihre personelle und ideologische Aufstellung machte die AfD zu der Organisation, die die existierenden negativen Gefühle bündeln und instrumentalisieren konnte. Die Geschichte der AfD lässt sich zwar mit anderen europäischen Rechtsaussenparteien vergleichen, ist aber nicht identisch. Eine Analyse der Ziele, Potentiale und Gefahren von autoritär-nationalistischen Parteien ist daher komplexer, als es zunächst erscheint.

Die Rechte zwischen Faschismus und modernem Autoritarismus
Eine vermeintlich leichte Einschätzung der Gefahr durch starke autoritär-nationalistische Parteien lässt sich anhand ihrer Bezeichnungen machen, also die Art- und Weise, wie diese Parteien von Medien, politischen Widersacher*innen, Analyst*innen (und der Bevölkerung) gelabelt werden. Blicken wir beispielsweise auf die USA, sehen wir seit der ersten Kandidatur Donald Trumps 2016 für die Republikanische Partei eine heftige Diskussion darüber, wie dieser New Yorker Businessman mit Polit- und Reality-TV-Allüren nun einzuschätzen sei. Im Oktober 2024, nach seinem Putschversuch und unangefochtenen Stellung in der Partei wurde er dann sowohl von seiner Gegnerin Kamala Harris als auch vom ehemaligen Stabschef John Kelly als «Faschist» bezeichnet. Trotzdem wurde Trump gewählt, trotzdem wird Joe Biden die Macht an ihn übergeben. In Italien wird Georgia Melonis Partei «Fratelli d`Italia» oft als «postfaschistisch» bezeichnet, was einerseits verharmlosend ist und andererseits in die Irre führen kann: Nur weil die «Fratelli» eine relativ direkte Verbindung zur «Partito Nazionale Fascista» Mussolinis haben, heisst das nicht zwingend, dass sie nicht doch distanzierter zum real existierenden Faschismus eingestellt sind, als die erst 2013 gegründete AfD oder die 1854 gegründete Republikanische Partei in den USA.

Hilfreicher als Labels bei der Gefahreneinschätzung sind Fragen zu den praktischen Taten und inhaltlichen Bezügen: ob und wie die Parteien mit gewaltbereiten Akteur*innen zusammenarbeiten, inwiefern es ihnen gelingt, personell und thematisch Brücken ins klassisch-konservative Milieu zu bauen, ob sie mediale Diskurse mitbestimmen, wie sie gegen Andersdenkende vorgehen und ganz einfach wie sie reden, also welche Menschen-, Gesellschafts- und Zukunftsbilder beschworen werden. Dadurch kann sich auch zeigen, inwiefern die Parteien und ihre Exponent*innen näher an die Extremform des Autoritär-Nationalen herankommen, den Faschismus. Der Historiker Roger Griffin definierte den Faschismus als: «eine Gattung der politischen Ideologie, deren mythischer Kern in seinen diversen Varianten eine palingenetische Form von populistischem Ultranationalismus ist». «Palingenetisch» bedeutet dabei soviel wie «Wiedergeburt». Ein bekanntes Beispiel hierfür ist Björn Höcke, der mit der AfD 2024 in Thüringen die Landtagswahl gewann, obwohl man ihn (gerichtlich abgesichert) „Faschisten“ nennen darf (siehe dazu die Sprach-Analyse Höckes von Andreas Kemper (2016)). Dass in europäischen Ländern und den USA Parteien regieren oder regieren könnten, die sich positiv auf den Faschismus der 1920er- und 30er-Jahre in Europa beziehen, die damaligen ideologischen Konstrukte übernehmen und die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg verharmlosen, war lange undenkbar – heute, einhundert Jahre später, ist das unbestreitbar wieder der Fall. Der vermeintliche Konsens zum «Nie wieder!» hat sich als Wunschdenken entpuppt (was wiederum nicht alle gleichermassen überraschen dürfte). Allerdings sind auch nicht alle autoritär-nationalistischen Parteien gleich in ihren Zielen oder ihrer Gefährlichkeit. Sofern die entsprechenden Bewegungen aber an der Macht sind, eröffnen sich ihnen Möglichkeiten, die unabsehbare Radikalisierungen in Gang setzen können – das beste Rezept, das zu verhindern, bleibt also, ihnen diese Möglichkeit zu verweigern. Langfristig kann dem neuen Rechtsradikalismus der Nährboden am ehesten durch die Stärkung der demokratischen Kräfte in der Zivilgesellschaft sowie durch eine umverteilende Wirtschafts- und Sozialpolitik entzogen werden. Hierfür kommt man im Moment nicht um die Unterstützung klassisch-konservativer Parteien herum. Die republikanische Partei ist der Versuchung nun allerdings definitiv erlegen, sich bedingungslos dem rechten Parteiflügel und Donald Trumps Herrschaft zu unterwerfen – die CDU in Deutschland, die ÖVP in Österreich oder die EVP im EU-Parlament stehen ob kurz oder lang in der Versuchung, sich mit Rechtsaussen einzulassen, statt die Ursachen für deren Erstarken ernsthaft anzugehen.

(1) Siehe hierzu die Statistik der Amadeu-Antonio-Stiftung: Todesopfer rechter Gewalt, https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/todesopfer-rechter-gewalt/