Waffen made in CH Text: Text: augenauf bern | Illu: daf | Bild: daf

Akademisch geprüfte Gummigeschosse

Schon im April 2016 berichtete die «Tageswoche» über neuartige Gummigeschosse der Basler Polizei, die mit 44-mm-Werfern verschossen worden seien. Jahre später tauchen diese beziehungsweise ihre länglichen Geschwister in Bern auf.

Nach der stundenlangen Strassenschlacht zwischen Polizei und Ausgänger*innen auf der Schützenmatte vom 1. September waren sie plötzlich in aller Munde: Die länglichen, gelb-grün-schwarzen neuen Gummigeschosse, von denen einige mit «Smileys» verziert waren.
Schon 2017, während den mehrtägigen Auseinandersetzungen nach der Räumung des besetzten Hauses Effy29, verwendete die Berner Kantonspolizei die neuartigen Gummigeschosse (SIR 40x46mm) der Thuner Firma B&T. Diese rühmt ihr (wiederladbares) Geschoss, das aus über fünfzig Metern aus dem GLO6-Gewehr verschossen werden könne, für dessen Menschenfreundlichkeit:«…keine Hautpenetration, keine Rippenbrüche oder Verletzung innerer Organe (Gutachten der Universität Bern).»

 

Ballerspiele im universitären Elfenbeinturm

Dieses «Gutachten der Universität Bern» stammt offenbar von der Abteilung «Forensische Physik und Ballistik» des Instituts für Rechtsmedizin (IRM). Im IRM-Jahresbericht 2017 (S. 25) wird berichtet:
«Erneuerung der Mehrzweckwerfer der Schweizer Polizeikorps – Zusätzlich zu der regelmässigen Teilnahme des IRM an den Sitzungen der Kommission Polizei Technik und Informatik, hat die Forensische Physik und Ballistik in der Arbeitsgruppe Werfersystem 40 mm (Agr WS 40mm) mitgewirkt. Die Arbeitsgruppe musste in den vergangenen Jahren die heikle Thematik der Erneuerung des heutigen Mehrzweckwerfers 73/91, der heute im Ordnungsdienst angewendet wird, behandeln. Im Rahmen der Arbeitsgruppe hat das ZFPB verschiedene Munitionssorten auf ihre Energie und ihr Verletzungspotential untersucht und die AGr WS 40 mm der PTI hat daraus entsprechende Empfehlungen während der Konferenz der Kantonalen Polizeikommandanten angebracht.»
Das IRM befindet sich an der Bühlstrasse in der Länggasse, wo die Forscher*innen an der Humanisierung von nicht-lethalen Waffen tüftelten. Zwei Strassen weiter treffen sich einmal pro Jahr die potientiellen Ziele dieser Waffen an der Anarchistischen Büchermesse. In der Mensa, die auch von IRM-Leuten benutzt wird.

 

Verletzungen trotz universitärem Gütesiegel

«Ein Pferdetritt ins Auge» titelte die WOZ und zitierte damit das «Schweizerische Waffenmagazin» (SWM), das das neue Geschoss als «gelben Golfball mit angehängtem Eierbecher» beschreibt oder eben, wie es die Thuner Herstellerfirma B&T nennt: Safe Impact Round (SIR), die sichere Aufprallpatrone. Der Aufprall, so SWM, sei wie ein «Pferdetritt». Ob die SWM-Redaktion jemals von einem Pferd getreten wurde, ist unbekannt.
Jolanda Egger, Mediensprecherin der Kantonspolizei Bern, erklärte auf blick.ch die Neuanschaffung: Die 300km/h-schnellen SIR-Geschosse seien dazu da, Einzelpersonen zu stoppen, während die alten Gummischrot-Ladungen Personengruppen stoppen oder auf Distanz halten sollten.
Weil die Mindestschussdistanz von zwanzig Metern aber von Polizist*innen notorisch unterschritten oder Schüsse auf Kopfhöhe abgegeben werden – was die Kapo hartnäckig bestreitet – nützen auch universitäre Gutachten nicht viel. Die fatalen Folgen solcher Nah- und Kopfschüsse können auf der Facebook-Seite des autonomen Kultur- und Begegnungszentrums Reitschule begutachtet werden, auf der die Verletzungen der meist Unbeteiligten dokumentiert wurden.

 

Non Lethal Weapons made in Thun

Die international bestens vernetzte B&T AG entwickelte gemäss einem Werbevideo den GL-06 44mm-Werfer, mit der die SIR-Gummigeschosse verschossen werden, ursprünglich für die französische Polizei, die an einer Non-Lethal-Waffe für Crowd Control interessiert war. B&T belieferte auch die südafrikanische Polizei für die WM 2010. Als Zubehör zum Werfer gäbe es auch Ziellaser, Stroboblendlicht, Nachtsichtgeräte und anderes.
In die Schlagzeilen geriet die B&T AG 2012 wegen einer umstrittenen Lieferung von Einzelteilen für die Fertigung von 30 bis 50 Scharfschützengewehren an die ukrainischen Sicherheitskräfte und 2015 wegen einer Lieferung von Scharfschützengewehren, Tränengaspetarden, Gummischrot-Granatwerfern und Rauchgaspetarden, die via Neuseeland in Kasachstan gelandet war – 2018 akzeptierte B&T die Verurteilung wegen Waffenhandel bzw. Verstosses gegen das Kriegsmaterialgesetz.

Was wieder einmal zeigt: Nicht nur die Solidarität, sondern auch der Repressionswaffen-Handel ist international. Nicht selten Made in Switzerland.

 

augenauf Bern | Leicht gekürzte Fassung aus: augenauf-Bulletin Nr. 98 Sept 2018