Tinder, Twitter und Twint – für viele von uns sind diese Applikationen heute nicht mehr aus ihrem Leben wegzudenken. Sie sind ja auch praktisch und erleichtern einem das Informations-, Konsum- und Liebesleben. Aber wie verhält es sich mit den drei Ts, wenn man einen kritischen Blick auf sie wirft? Die T-Triade (oder Tirade) in diesem Text ist eine zugespitzte Darstellung einer gesellschaftlichen Tendenz. Die drei Apps stehen – alle auf ihre Art – für die sich ausdehnende Marktlogik, die sämtliche Lebensbereiche zur Ware machen will. Was meine ich damit?
Twint oder: Wenn nichts mehr offen ist
Jede*r vergisst mal das Portemonnaie. Oder, dass in dieser oder jener Kneipe kein Kartenlesegerät steht. «Cash only» steht zum Beispiel im Restaurant Sous le Pont der Reitschule. Gottseidank gibt’s ja meist jemanden, der oder die noch genug Bargeld hat, um dem Straf-Abwasch oder der Anzeige wegen Zechprellerei vorzubeugen. Was nun bei Twinter*innen kein Problem mehr darstellt, nämlich das sofortige Überweisen des geschuldeten Betrages auf das Konto des oder der Bezahlenden, kann bei Nicht-Twinter*innen zum «ich lade dich das nächste Mal ein» führen. Eigentlich gar nicht so schlimm, mehr zu bezahlen (natürlich vorausgesetzt, man ist nicht in Geldnot). Die fehlende Gleichheit beim Zahlungsprozess führt zu einer relativ verbindlichen Gegenleistungserwartung in nicht allzu ferner Zukunft. We will meet again. Gleichheit, Gerechtigkeit und Schuldlosigkeit ist in der Twint-Welt dann gegeben, wenn sofort das bezahlt wird, was man grad konsumiert hat. Unabhängig davon, wer wie viel verdient und wer das grössere Vermögen hat. Der egoistischen und profitorientierten Logik des Kapitalismus ein Schnippchen schlagen, das kann man gerade auch im Alltag. Zum Beispiel mit der App «Diner Rouge», bei der anhand des Einkommens der Konsumierenden berechnet wird, wer welchen Prozentsatz der Rechnung bezahlt. Immerhin: Twint ist eine Schweizer App, die aktuell nur in der Schweiz nutzbar ist – und somit immerhin nicht die grosse Mafia um Apple und Google.
Tinder oder: Konsumier mein Profil, Darling (1)
Das Begegnen von Menschen im Alltag, zwischen Bus und Bahn, am Arbeitsplatz, beim Ausgehen, das ist eben nicht nur Alltag, sondern auch Zufall, Schicksal oder göttliche Fügung – je nach eigenem Dafürhalten. Kann man diese Offenheit im Alltag noch leben, wenn man den Tinder-Algorithmen verfallen ist? Tinder verstärkt mehrere Tendenzen. Zum Beispiel, sich selbst dauernd als Besonders darzustellen: Ob am Strand, beim Sporttreiben, beim Trinken, ob mit Hobbies oder Lieblingssongs. Doch bleibe ich eine*r von vielen im Online-Katalog. Ich werde auf hunderten Bildschirmen betrachtet und weggeswipet. Oder auch mal «gematcht», also als «potentiell interessant» bewertet.
Die einen sind mit 50 oder mehr Matches in zwei Tagen überfordert, die anderen mit zwei Matches in zwei Monaten frustriert: Tinder lockt mit dem grossen Glück und garantiert für nichts. Es lässt uns unsere Träume und Wünsche vom «perfekten Gegenüber» auf einen Online-Auftritt projizieren. Tinder ermöglicht es zwar, Menschen kennenzulernen, die selbst auch Interesse an kurz- oder langfristigen Beziehungen oder erotischen Begegnungen haben. Durch die Masse an Menschen auf der Plattform und die Konformitäts-, Markt- und Kataloglogik entsteht aber umso schneller ein Bedürfnis nach Selbstoptimierung und ein Gefühl der Überforderung. Und der ständige Verdacht, dass es wohl andere gibt, die noch besser zu mir passen. Wie sagte eine Freundin zu mir: «Irgendwann lege ich entnervt das Handy weg – nur, um ein paar Minuten später wieder weiter zu swipen.» Swipen kann süchtig machen und Matches befried(ig)en oft nicht, sondern lassen nach mehr Matches, also mehr Bestätigung, gieren.(2) Tinder programmiert seine Algorithmen so, dass erfolgreichere, also «oftgematchte» Menschen öfter «Ihresgleichen» angezeigt bekommen. Der Datenschutz der Plattform ist mangelhaft – das Konto beispielsweise oft mit Facebook verknüpft. Und auch ohne Konto können die Tinder-Kataloge über gewisse Webseiten durchsucht werden, wenn man bezahlt. Immerhin kann Tinder Menschen mit Hemmungen im sozialen Umgang dienlich sein und die Selbstbestimmung fördern, was den Kontaktaufbau zu anderen angeht (allerdings dürfen auch Menschen mit niederen Absichten tindern). Gerade in der Corona-Zeit konnten Tinder, Bumble und Co. über Social-Distancing-Imperative hinweghelfen. Und auch für jemanden, der oder die neu in einer Gegend lebt, kann Tinder ein Tor zu neuen Kontakten darstellen.
Twitter oder: Schneller und Härter
Auf Twitter diskutieren wir zusammen oder gegeneinander – in Kurznachrichten, aktualitätsbezogen, oft sogar live. Eine beschleunigte, zugespitzte Debatte kann die Folge sein – kleinere oder grössere Eklats sind Alltag auf Twitter. Diese haben dann teils auch Strahlkraft auf andere Plattformen oder ins sogenannt richtige Leben. Selbstverständlich muss das nicht zwingend schlecht sein, denn Twitter öffnet Türen für diejenigen, die eben beispielsweise nicht in der «Arena» sind. Über Twitter werden Debatten aber oft härter, enthemmter und schneller, was Nachteile mit sich bringt. Geht immer alles primär um die Reaktionen in Echtzeit, fehlen den Akteur*innen oft Gelassenheit und Zeit zum Überdenken. Reichts nicht mehr zum Tiefergraben, dann bleibts bei Meinungen, und die sind – wie die Meinungsbubbles dank Algorithmen – schnell gemacht. Weiterscrollen, sich verlieren (und damit scheinbar auf dem Laufenden bleiben) kann man auf Twitter ewig. Wahr ist aber auch: Gerade wir vom megafon als selbstverwaltetes Zeitungsprojekt konnten durch Twitter deutlich mehr Aufmerksamkeit für unseren Journalismus generieren. Und rasch und pointiert zu (re)agieren ist durchaus positiv – sollte aber nicht das einzige Kriterium sein und nicht die Begegnungen in der physischen Welt ersetzen.
Singularisierung vor der Schablone
Die drei T-Unternehmen treiben die Tendenz der Ökonomisierung bisher wenig oder nicht ökonomisierter zwischenmenschlicher Beziehungen und Handlungen voran. Ob durch «FOMO»3, ob durch ständige Stimulation der Selbstprofilierung. Ob durch Druck und Verlockung, auf dem Laufenden zu bleiben, oder durch das versprochene Immer-autonomer-werden (während man von Apps und Konzernen immer abhängiger wird).
Generell versteht sich die Kritik an jenen Plattformen als Kritik am neoklassischen Weltbild des Homo Oeconomicus, das besagt, dass der Mensch bei seinen Handlungen meist Kosten und Nutzen einander gegenüberstelle, mit dem Ziel, den eigenen Nutzen so gross wie möglich zu machen. Die drei Unternehmen helfen dabei mit, dass dieses empörend eindimensionale Menschenbild auf ihren Plattformen Praxis wird. Schliesslich wollen sie uns alle so lange wie möglich bei sich behalten – das gibt Geld. Einhergehend damit geht die Tendenz zur Rationalisierung: Alles soll immer effizienter und berechenbarer werden. Schrift, Emojis, Fotos und Zahlen reduzieren zwischenmenschliche Zufälligkeiten und Potentiale. Die Nutzer*innenoberfläche der Plattformen machen Emotionen, Wünsche und Gedanken durch ihre Schablonen vergleichbar. Dadurch wird gleichzeitig die Tendenz zur Singularisierung genährt: Sie verspricht Anerkennung für unsere Einzigartigkeit, sofern wir sie entsprechend zur Schau stellen – auf kapitalistischen Konzern-Plattformen, die im kapitalistischen Profitstreben Oben mitspielen. Wir geraten also in eine emotional-rational-soziale Abhängigkeit der TTT-Logiken, die wir nicht mehr loswerden. Selbstverständlich ist es (noch) schwierig zu messen, wie und wie stark die problematischen Tendenzen dieser drei Apps unser Alltagsdenken verändern. Fest steht aber, dass wir längst nicht mehr trennen (können) zwischen «digitaler» und «echter» Welt – beide «Welten» sind echt und greifen ineinander über, wie gerade bei den drei Ts schön zu sehen ist.
So können uns T, T und T wohl durchaus nützlich sein und Dinge ermöglichen. Auf den Plattformen entstehen auch neue Kreativitätsformen, was subversiv sein kann. Ob sie uns und unseren sozialen Beziehungen tatsächlich mehr nützen als schaden, oder ob man Paracelsus` Ausspruch, die «Dosis macht das Gift» heranziehen möchte – das gilt es für sich, aber auch gemeinsam herauszufinden. Von den Konzernen ist keine Hilfe zu erwarten.
1 Siehe zum Abschnitt Tinder auch den Beitrag «Digitalisierter Dating Supermarkt», megafon 458, August 2020.
2 Arte-Serie: «Süchtig nach Dopamin» / https://www.youtube.com/watch?v=LsdX2LciA4w
3 «Fear of missing out» bezeichnet die ständige Angst,etwas zu verpassen.