Faschistische Diskurse von Rechtsaussen befinden sich in der westlichen Hemisphäre unübersehbar wieder im Aufwind. Das zeigt sich nicht nur in den jüngsten und anstehenden Wahlen in Europa und Nordamerika: Als möglicher Verteidigungsminister von den USA hat Donald Trump Pete Hegseth nominiert. Der Fox-Moderator und ehemalige Soldat präsentiert gerne seinen durchtrainierten Oberkörper, auf dem Embleme der mittelalterlichen Kreuzritter, die US-amerikanische Flagge und ein Sturmgewehr prangen. Passend zur Kriegssymbolik am eigenen Körper will Hegseth eine «Kriegskultur» ins Pentagon bringen, sollte er vom Senat bestätigt werden. Auch der Meta-Chef Mark Zuckerberg meinte vor Kurzem in einem Podcast des weltweit millionenfach gehörten Podcasters Joe Rogan, dass er wieder für mehr «männliche Energie» in seinem Unternehmen sorgen wolle, die die «Aggression etwas mehr feiert». Wohl auch deshalb ist Zuckerberg bei Veranstaltungen der Mixed Martial Arts anzutreffen, wo rohe Gewalt in Reinform und Körperkult zelebriert werden. Diesen Beispielen ist gemeinsam, dass die Lobreden auf «die Männlichkeit» verknüpft werden mit Aggression, Drill, Hierarchie, Härte, Männerbünden und Körperlichkeit – und der Behauptung, dass diese Männlichkeit in einer Krise stehe; bedroht von einer «woken» Kultur, die die Einteilung in zwei Geschlechter auflösen will und gegen die es sich zu wehren gilt.
Dass die Krise der Männer ausgerufen wird, ist jedoch kein neues Phänomen: Bereits vor einem Jahrhundert galt die Männlichkeit im deutschsprachigen Raum als krisenbehaftet. Der Literaturwissenschaftler Albrecht Koschorke setzt sich mit diesem Phänomen auseinander. Er stellt die These auf, dass der männliche Körper mit dem Aufkommen der Moderne um 1900 mehrere Demütigungen erlitt: Der arbeitende Körper sei durch Maschinen, der Kriegskörper durch die Kriegstechnik abgelöst worden und durch die sich verändernden Geschlechterrollen habe Männlichkeit nicht mehr dieselbe gesellschaftliche Bedeutung gehabt. Schon damals wurde deshalb eine fortschreitende «Verweiblichung» des männlichen Körpers befürchtet, so Koschorke. Die gesellschaftliche Stellung und Identität des Mannes galten als gefährdet, und eine reaktionäre Kultur, die sich auf Willensstärke und Entschlusskraft des Mannes berief, war die Folge davon.
Solche historischen Beispiele für Krisenmomente des männlichen Körpers gibt es zuhauf. Die zeitgenössische Geschlechterforschung geht mittlerweile davon aus, dass Männlichkeitskonzepte keine Krisenmomente erleben würden, sondern grundsätzlich krisenhaft sind. Als Ergebnis müssen Vorstellungen von Männlichkeit ständig neu definiert und reproduziert werden. Doch wie funktioniert das? Wie stellt sich der männliche Körper dar? Worüber definiert er sich? Und welche Praktiken machen einen Körper zu einem «männlichen» Körper?
Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Klaus Theweleit führte in den 1970ern mit seiner Dissertation «Männerphantasien» die Gedanken von Koschorke weiter. Theweleit untersucht darin literarische Werke der deutschen Freikorps — brutale paramilitärische Einheiten — aus der Zwischenkriegszeit, wovon später viele Anhänger des NS-Regimes wurden. Ihn interessieren dabei vor allem die körperlichen Praktiken des Faschismus und damit der Zusammenhang von Faschismus und Männlichkeit. Theweleit geht davon aus, dass es eine «faschistische Art und Weise gibt, die Realität zu produzieren», und dass dies durch den Körper geschehe und nicht durch Gedanken. Körper macht Faschismus. Wegen der (wer hätte es gedacht, auch in der Zwischenkriegszeit) empfundenen «Krise der Männlichkeit» sei in den Freikorps versucht worden, männliche Stabilität durch Gewalt wiederherzustellen: durch Abwertung und Ausgrenzung des «Weiblichen», durch Männerbünde, Hierarchisierungen, militärischen Drill, streng enthaltsame und disziplinierte Lebensweise und gestählte Körper. So gesehen ist Faschismus nicht nur eine Ballung von Ideen, sondern vor allem auch ein Körperzustand. Theweleit entwickelte dafür die Metapher des «Körperpanzers», der diese Vorstellung des ultramännlichen Körpers im Faschismus zusammenfasst.
Diese Analysen haben an Aktualität nichts verloren. Nicht nur bei Hegseth oder Zuckerberg sind sie erkennbar, auch in der Schweiz präsentiert sich beispielsweise die Junge Tat gerne oberkörperfrei beim Kampfsporttraining oder bei Wanderausflügen. Was sich auf den ersten Blick als gesundheitsfördernde oder heimatverbundene Aktivitäten in der Idylle präsentiert, ist eigentlich ideologische Konditionierung über den Körper: Statt faul rumzuliegen und zu konsumieren, sollte sich körperlich «ertüchtigt» werden, denn nur dadurch könne der «Wille» gestärkt werden und könnten «gesunde Gedanken» entstehen. Ob bewusst oder unbewusst orientiert sich die Junge Tat dabei auch an historischen Vorbildern von Anfang des 20. Jahrhunderts: Jugendbewegungen wie der «Wandervogel» erlebten dank ihren Wanderangeboten grossen Zulauf von jungen Erwachsenen und wiesen zum Teil auch völkische und anti-feministische Strömungen auf. Als Begründer gilt Hermann Hoffmann-Fölkersamb, der ab Ende des 19. Jahrhunderts in Stieglitz regelmässig Wanderausflüge mit Gymnasiasten organisierte. An dieser Stelle wird absichtlich nicht gegendert, da die Geschlechterfrage die Bewegung von Anfang an begleitete: Zu Beginn waren die Wandervögel ganz bewusst ein reiner Männerbund, Frauen wollte man nicht in den eigenen Reihen haben. Denn für Hoffmann-Fölkersamb war einer der Auslöser für die Gründung der Jugendbewegung die Ablehnung des für ihn «modernen Mannes» der industrialisierten und bürgerlichen Gesellschaft. Für Hoffmann-Fölkersamb war er ein willensschwacher Säufer und ein Zeichen des voranschreitenden Verfalls der Menschen. Aber durch Alkoholabstinenz und körperliche Züchtigung würde «auch der Zaghafte ein Kerl» werden. Wie bei den Neofaschisten der Jungen Tat gibt es etliche Fotoaufnahmen der Wandervögel, wie sie stolz ihre durchtrainierten Oberkörper nach abgeschlossener Wanderung oder Erklimmung des Berggipfels präsentieren. Ihre vermeintliche Willensstärke fand und findet Ausdruck in ihrem Körperbild. Die Zeit der Wandervögel ist jene Zeit, in der sich das normative Schönheitsbild des athletischen, schlanken Körpers herausbildet, das uns bis heute noch prägt. Aus der Wandervogelbewegung entwickelten sich dann etliche Unterströmungen des gesamten politischen Spektrums: Die Reformbewegung wurde stark von den Wandervögeln beeinflusst, aber auch sozialistische und, kaum verwunderlich, nicht zuletzt faschistische Jugendorganisationen gingen daraus hervor.
Weil sich Männlichkeitskonzepte also ständig in einer «Krise» befinden und sich immerzu neu definieren müssen, spielt der Körper eine wichtige Rolle: Durch und in ihm wird eine vermeintliche Männlichkeit hergestellt und wird ein faschistisches Denken produziert und in Realität umgesetzt. Faschismus ist also nicht nur eine abstrakte Ideologie, sondern entsteht auch in der Ausdrucksweise eines körperlichen Prozesses. Die historischen Ähnlichkeiten von Gemeinschaften, die die körperliche «Männlichkeit» zelebrieren, zeigen auf, dass die «Krise der Männlichkeit» immer wieder als Ausgangslage für faschistische Praktiken herhält. Ist also von einer «Krise der Männlichkeit» die Rede, sind faschistische Gemeinschaften, die ihre Männlichkeit körperlich unter Beweis setzen, nicht weit.