
In dieser Ausgabe funktioniert das Lexikon etwas anders als sonst. Denn der Begriff Brandmauer hat viele schlaue Definitionen und in den letzten Wochen wurde er oft so unhinterfragt verwendet, als wäre er präzise und aufschlussreich. Doch je länger ich darüber nachdachte beim Verfassen dieses Texts, beschäftigten mich zwei Fragen. Aber von vorne: Gemäss dem digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache (Duden mag keine Adblocker) bedeutet «Brandmauer» folgendes:
1. Verstärkte, feuersichere Wand zwischen zwei aneinanderstossenden Gebäuden oder Gebäudeteilen, die dem Übergreifen eines Brandes vorbeugen soll.
2. Abstrakte Sache (z. B. Maßnahme, Handlung, Vorrichtung) oder Beschaffenheit, Eigenschaft, die dem Übergreifen einer unerwünschten Entwicklung auf andere Bereiche vorbeugen soll.
Im Kontext der Deutschen institutionellen Politik bezieht sich der Begriff Brandmauer auf eine Haltung, die in etwa besagt, dass nicht mit der AfD zusammengearbeitet werden soll, um politische Vorstösse mehrheitsfähig zu machen oder Regierungen zu bilden. Die Begründung liegt darin, dass die AfD «zu teilen gesichert rechtsextrem» ist und somit die Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie Deutschlands gefährdet. Dies war bis vor kurzem die ungeschriebene Regel, die anscheinend mit fragilem Stolz in der Bundesrepublik Deutschland praktiziert wurde. Denn vor drei Wochen hat die CDU diese sogenannte Brandmauer ignoriert und mit der AfD zusammengespannt, um sich dem «Migrationsproblem» anzunehmen. Weite Teile der Bevölkerung waren und sind immer noch empört darüber. Doch spätestens hier habe ich Verständnisschwierigkeiten: Wenn die AfD dieses Feuer darstellen soll, welches offensichtlich bereits existiert – macht es dann Sinn, sich um eine Brandmauer Sorgen zu machen? Oder im konkreten Sinn: Wenn ein Haus brennt, wäre es nicht gut, das scheiss Feuer zu beseitigen?
Eine weitere Frage die mich beim Gebrauch des Begriffs Brandmauer beschäftigt, ist die scheinbare Abgrenzbarkeit des Feuers. Denn offensichtlich ist die AfD Teil einer Gefahr, welche sich nicht durch Parteigrenzen definieren lässt. Im Gegenteil: Die AfD vertritt faschistisches Gedankengut, welches Partei- und länderübergreifend aktuell für viele Menschen anschlussfähig ist. So macht es auch Sinn, dass Kanzler Scholz der linken SPD kürzlich in einer Rede die Abkehr von der Brandmauer scharf kritisieren konnte und einige Sätze später versprach, dass Deutschland in Zukunft «noch schneller abschieben und ausschaffen» werde. Das ist die Zeit, in der wir leben und Deutschland ist nur ein Beispiel dafür, wie Migrationspolitik weltweit repressiver und die Stimmung gehässiger wird. Auch in der Schweiz ist SP-Bundesrat Beat Jans stolz darauf, wie effizient er in seinem ersten Jahr ausgeschafft hat und versprach, dass es so weitergehen wird – so stolz auf sein Arbeitsethos, dass man Jans gerne auf den Kopf tätscheln und ihm einen Sugus zustecken würde, wenn seine Arbeit nicht zum Kotzen wäre. Wenn sich also Politiker*innen Sorgen machen wegen der AfD und gleichzeitig selbst rechte Diskurse führen, ist das heuchlerisch. Die aktuell zur Schau gestellte Empörung blendet ausserdem auch die Tatsache aus, dass marginalisierte Menschen seit Jahrzehnten unter den Konsequenzen rechter Politik leiden. Lassen wir uns also nicht täuschen, weder von faschistischen Kräften, noch von den angeblich guten Parteien und stattdessen weiterhin Widerstand von unten organisieren und auf lebenswerte Gesellschaften für alle bestehen.