Asylregime Text: tym | Bild: lka

Die blutige Zusammenarbeit des SEM mit der Serco

Wer in die Schweiz flüchtet und hier registriert wird, wird daraufhin höchstwahrscheinlich durch verschiedene Instanzen des schweizerischen Asylregimes* geschleust. Dieses umfasst eine Vielzahl von Institutionen von der Erstaufnahme bis zum Ausschaffungsgefängnis. Der Betrieb dieser Asylzentren und damit die Menschen, die dort leben müssen, werden zunehmend zu Profitquellen für private Sicherheitskonzerne wie die Serco Gruppe, zu dem die Tochterfirma ORS gehört. Diese Zusammenarbeit wirft viele Fragen auf. Doch das Staatssekretariat für Migration (SEM) sieht keinen Grund zur Sorge.

Das Geschäftsmodell der ORS: Profite mit „Sicherheit»

Asylzentren werden je nach Art und Standort vom Bund, den Kantonen oder Gemeinden finanziert. Ihr Betrieb wird dabei grundsätzlich als Auftrag öffentlich ausgeschrieben, worauf Anbieter*innen sich bewerben können. In der momentanen Praxis werden oft externe Organisationen beauftragt. Dazu gehören beispielsweise NGO wie das Rote Kreuz, die Heilsarmee oder privatwirtschaftliche Unternehmen wie die „Organisation for Refugee Services“, kurz ORS.

Die ORS arbeitet in der Schweiz seit Ende der neunziger Jahre mit staatlichen Institutionen zusammen. Ihre „Marktlücke“ war dabei von Beginn weg das Schutzbedürfnis von flüchtenden Menschen. Seither ist die ORS in der Schweiz und europaweit als Betreiberin von Asylzentren stark gewachsen. Alleine in der Schweiz macht die ORS mit Asylzentren mittlerweile einen jährlichen Umsatz im dreistelligen Millionenbereich. Genaue Zahlen werden weder von der ORS noch vom Bund regelmässig veröffentlicht. Klar ist, dass die ORS den Betrieb der Asylzentren des Bundes dominiert und für den Betrieb lokaler Zentren bereits mit mehreren dutzenden Gemeinden zusammenarbeitet. Während der letzten zwanzig Jahre wurden immer wieder Berichte über unmenschliche Zustände in den Asylzentren publik, welche welche regelmässig Menschen in Lebensgefahr bringen1. Die ORS fährt einen rigorosen Sparkurs, der sich bei Auftragsvergaben auch auf andere Bewerber*innen auswirkt: In ihrer Bewerbung für  ein Asylzentrum in Zürich offerierte die ORS durch das Zusammenkürzen der Betreuungsstellen derart günstig, dass die Konkurrentin „Asyl-Organisation-Zürich“ der Stadt Zürich aufgrund interner Minimalanforderungen bezüglich des Betreuungsverhältnisses nicht mithalten konnte.

Die ORS als Organisation ist längst nicht mehr eigenständig. Bis 2022 gehörte sie zu einem undurchsichtigen Netzwerk von Holding-Unternehmen. Daraufhin wurde sie an die Serco Group verkauft. In einer Pressemitteilung freute sich die ORS darauf Synergien durch die Zugehörigkeit zur Serco Group nutzen zu können. Serco ist ein riesiger internationaler Konzern mit Milliardenumsatz, welcher sich gemäss eigener Webseite auf Dienstleistungen aller Art für Nationalstaaten und Paramilitärs spezialisiert hat. Dazu gehören neben Dienstleistungen im Bereich Transport und Gesundheit auch solche im Bereich Sicherheit. Sicherheit wiederum bedeutet im Verständnis von Serco der Betrieb von Gefängnissen und Asylzentren, sowie spezialisierten Verwahrungsmethoden und Militarisierung in Form von Technologien, Rüstungsgütern und Ausbildungen. Also in etwa alles, was dazu dient Menschen und Machtverhältnisse gewaltvoll zu kontrollieren. Bis der öffentliche Druck 2020 gross genug war, hat Serco für Grossbritannien auch nukleare Sprengköpfe hergestellt.

Unternehmensethik: bei Auftragsvergabe des SEM kein Kriterium

Bis auf die Herstellung der Massenvernichtungswaffen sind die genannten Geschäfte allesamt mit wenigen Klicks auf der Serco Webseite zu finden. Manche Unternehmen werben wohl auf ihrer Webseite mit leckeren Sauerteigbrot, Serco halt mit Militarisierung. Wie ist es möglich, dass ein Konzern mit diesem Leistungsausweis in der Schweiz mit geflüchteten Menschen Geld verdienen darf? Zumindest in der Theorie würde man diesbezüglich von staatlichen Behörden wie dem SEM ein gewisses Verantwortungsbewusstsein erwarten. Das megafon hat sich deshalb beim SEM nach den Kriterien erkundigt, an Hand welcher entschieden wird, ob eine Organisation oder ein  für den Betrieb von Asylzentren geeignet ist. Das SEM verwies dabei auf Qualitätsstandards in Form eines Pflichtenhefts, welches Bewerber*innen erfüllen müssen. Im dreissig-seitigen Dokument finden sich unter anderem praktische Anforderungen dazu, wie eine Unterkunft gestaltet werden muss und welche Kompetenzen das Personal braucht. So etwas wie Standards, um die  gesamten Unternehmenstätigkeiten von bewerbenden Organisationen ethisch zu prüfen, finden sich darin jedoch nicht. Und: auf Nachfrage des megafons benennt das SEM die Unternehmenstätigkeiten explizit als „nicht beachtlich“ für die Erteilung eines Auftrags.

Um deren Beachtung einzufordern hat das megafon beim SEM um eine Stellungnahme gebeten. Denn auch abgesehen von fehlenden Standards wirkt die Zusammenarbeit mit Unternehmen, welche zugleich Fluchtursachen und geflüchtete Menschen zu ihrem Geschäftsmodell zählen, stark stossend. Das Staatsekretariat für Migration verwies daraufhin lediglich auf eine Stellungnahme von Serco. In der kürzlich publizierten Mitteilung nimmt die Serco Group Stellung zu den Vorwürfen, die besagen, dass der Konzern in Waffengeschäfte involviert sei. Die Vorwürfe seien laut Serco „komplett unbegründet“. Serco bestätigt zwar, mit militärischen Institutionen zusammenzuarbeiten. Diese Geschäfte würden jedoch lediglich darin bestehen, den USA, Grossbritannien, Australien und weiteren NATO-Staaten „Freiraum für die Einsatzbereitschaft des Militärs“, im Sinne der Verteidigung zu verschaffen. Transparenz im Sinne von offengelegten Geschäftstätigkeiten sucht man in der Stellungnahme vergeblich. Stattdessen bestätigt Serco mit der Stellungnahme, was bereits die Befürchtung war: Die Serco Group hat ihre Finger sowohl bei der Militarisierung von Staaten, wie auch bei den damit einhergehenden Asylbereichen im Spiel. Der Verweis auf den Verteidigungszweck der Kooperationen wirkt besonders zynisch, da die von Serco genannten NATO-Staaten und die USA im Namen ihrer „Sicherheit“ regelmässig Länder des Globalen Südens angreifen. Ein aktuelles Beispiel für solche Verteidigungskriege ist der andauernde Genozid durch Israel in Palästina, welcher durch Waffen der USA und mehreren NATO-Staaten möglich gemacht wird. Eine fünfminütige Recherche zeigt: Die Serco Gruppe hat laut eigenen Angaben zumindest auch mit der israelischen Armee zusammengearbeitet und somit auch an Tod und Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung Geld verdient.

Rückendeckung vom SEM

Das Statement von Serco vermag die Vorwürfe der Waffengeschäfte nicht zu entkräften – im Gegenteil. Trotzdem stellt sich das SEM explizit hinter die Stellungnahme: „Es kann zu diesem Zeitpunkt kein erheblicher, begründeter Interessenkonflikt aufgezeigt werden, welcher eine Neubeurteilung des Vertragsverhältnisses  (mit der ORS) erfordern würde“. Es bleibt offen, wie das SEM zu dieser Einschätzung gelangt, wenn die Beurteilung der Konzernaktivitäten für die Auftragsvergabe (laut ihrer eigenen Aussage) nicht beachtlich ist. Denn das SEM hatte kein Interesse daran, dazu nochmals Stellung zu beziehen und liess verlauten: „Wir haben Ihre Fragen abschliessend beantwortet. Es gilt das geschriebene Wort, nicht ihre Interpretation.“

Die Weigerung des SEM Transparenz bezüglich der Einschätzungen von ORS und Serco herzustellen, zeigt auf, wie verantwortungslos das SEM Aufträge verteilt. Vom Staatssekretariat für Migration dürfte erwartet werden, dass es der Kritik (der Art wie sie gegenüber der ORS und Serco formuliert wird) ernsthaft nachgeht und entsprechende Massnahmen oder Konsequenzen einleitet. Ausserdem zeigt sich dadurch erneut, dass die Rechte und Bedürfnisse geflüchteter Menschen im Schweizer Asylregime keine Priorität haben.

(1) Kollektive wie das Migrant Solidarity Network oder augenauf dokumentieren solche Missstände in den von der ORS geführten Zentren in der Region Bern und darüber hinaus seit Jahren. Ihre Berichte sind im Internet zu finden.

 

Infobox Asylregime:

Dieser Text befasst sich mit der ORS, einer privaten Organisation die Asylzentren betreibt, um die grotesken Folgen der Privatisierung im Asylbereich zu beleuchten. Diese Betrachtungsweise soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Problem bei der „Asylpolitik» über profitorientierte Organisationen hinausgeht. Personen mit negativem Asylentscheid beispielsweise wird generell das Recht zu arbeiten verweigert und sie müssen von ca. zehn Franken pro Tag leben – was je nach Ort des Asylzentrums nicht einmal für den öffentlichen Verkehr bis zur nächsten grösseren Ortschaft reicht. Personen, die trotzdem zu arbeiten versuchen, müssen damit rechnen, dass dies im Falle eines weiteren Asylantrags gegen sie verwendet wird. Diese und ähnliche Formen der Aberkennung von Rechten aufgrund der Herkunft von Menschen und ihrem Wert für das Schweizer Wirtschaftssystem ist rassistisch. Daran ändert sich auch nichts, wenn Asylzentren von nicht-profitorientierten Organisationen wie dem Roten Kreuz geführt werden. Um hervorzuheben, dass mit dieser Politik grundsätzlich unterdrückende Verhältnisse erhalten werden, spricht dieser Text von einem Asylregime und nicht etwa von Asylpolitik. Es geht also nicht darum, bessere Asylpolitik im Sinne von besseren Asylzentren zu fordern. Die politische Perspektive geht darüber hinaus und fordert die Abschaffung nationalstaatlicher Grenzen, sowie alle Formen von Asylzentren, bis alle Menschen die gleichen Rechte haben.