Freitagnachmittag in der Reitschule. Drinnen im Restaurant Sous le Pont sind die Tische noch leer, draussen im Durchgang sind drei Tische besetzt. An einem davon sitzen einige Kollektivmitglieder des Sous le Pont und Rössli und machen nach der offiziellen «Zmittagszit» Pause. Es ist gerade ruhig an diesem Ort, den ich meist gefüllt mit Menschen erlebe. Ich treffe hier Jay*, der im Sous le Pont-Rössli Kollektiv aktiv ist und heute in der Mittagsschicht arbeitet. Auch wenn ich nicht genau wusste, mit wem ich mich hier treffe, ist mir Jay sofort bekannt. Wer im Sous le Pont und Rössli ein- und ausgeht, kennt die Gesichter der Menschen, die hier arbeiten. Wir setzen uns an einen der Tische im Durchgang und sprechen über das Sous le Pont, das Arbeiten im Kollektiv, den Alltag in der Reitschule und die – von der Pandemie geprägten – letzten zwei Jahre.
«Kollektiv und Selbstbestimmt»
Das Restaurant Sous le Pont in der Reitschule und das Rössli – die Bar und Bühne – davor, werden vom selben Kollektiv verwaltet. Jay, der im Sous le Pont arbeitet, erklärt: «Alle Menschen im Kollektiv können dort arbeiten, wo sie möchten – in der Küche, im Service oder im Kulturbereich des Rössli. Einige arbeiten in mehreren Bereichen, andere nur in einem.» Die ca. 40 Personen, welche im Sous le Pont-Rössli Kollektiv tätig sind, teilen sich neben den Schichten alle weiteren Arbeiten, wie zum Beispiel die Büroarbeiten auf. Das Sous le Pont sei auch ein Restaurationsbetrieb, der funktionieren müsse, meint Jay Dafür müssen solche Arbeiten als Ämtli aufgeteilt werden, auch damit Verantwortung nicht an einigen Wenigen hängen bleibt.
Im Kollektiv zu arbeiten bedeutet, dass Verantwortung aufgeteilt werden kann und alle im gleichen Masse mitbestimmen können. Dies fördere die Kreativität, weil sie nicht nur im Anstellungsverhältnis arbeiten, sondern Dinge ausprobieren, Fehler machen und davon lernen können. Eine Ausbildung im Gastro sei keine Voraussetzung, es komme jedoch schon vor, dass spezifisch Personen mit einer Ausbildung oder Erfahrung im Gastrobereich gesucht werden, meint Jay Allerdings kommen die meisten Kollektivmitglieder aus anderen Bereichen – vom Studium, vom Bau, direkt von der Schule. Die Diversität im Team, was Erfahrungen anbelangt, führt dazu, dass viel Know-How zusammenfliesst und für die gemeinsame Arbeit genutzt werden kann. Dabei fliessen auch verschiedene Meinungen mit ein. So zu arbeiten verursache zwar mehr Aufwand, jedoch habe genau diese Organisationsweise das Sous le Pont wohl so weit gebracht, dass es dieses Jahr sein dreissigjähriges Bestehen (1) feiern kann, meint Jay.
Am 1. August 1992 eröffnete in der Reitschule das Sous le Pont. Anfänglich für eine Testphase von einem halben Jahr. Damit sollte, so heisst es in den «Chronologien» (2) der Reitschule, ein Raum geschaffen werden, welcher die Funktion eines täglichen Treffpunktes übernimmt und die Kommunikation zwischen den Mitgliedern der verschiedenen Arbeitsgruppen fördert. Mit der Eröffnung der «Beiz» erhofften sich die Betreiber*innen zudem, ein breites Publikum anzusprechen.
Heute, bald 30 Jahre später, wird sichtbar, dass sich diese Hoffnung und die Ziele erfüllt haben. «Das Sous le Pont ist der Tagesbetrieb der Reitschule, die Anlaufstelle und das offene Ohr». Einerseits, weil sie als Restaurationsbetrieb Dienstag bis Samstag geöffnet haben, was dazu führt, dass sie häufiger in Kontakt mit Menschen kommen. Das schaffe eine andere Basis, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, und eröffnet in Konfliktsituationen allenfalls andere Handlungsmöglichkeiten, meint Jay. Andererseits, weil das Sous le Pont und das Rössli die Punkte der Reitschule sind, an denen vorbei oder durch die hindurch Menschen in die Reitschule hineinkommen. «Wir sind vor Ort», sagt Jay.
Zusammenhalt
Immer wieder kommen neue Gäste durchs Tor in die Reitschule. Jay räumt Tische ab, bringt Getränke, kassiert ein. Dann kommt er wieder zurück und erzählt weiter.
Als Teil der Reitschule übernimmt das Sous le Pont Verantwortung, wenn auf dem Vorplatz oder drinnen was geschieht. «Die Stimmung kann schnell schwanken. Wir nehmen das wahr und reagieren darauf». Im Kollektiv wird viel über die Situation vor Ort, über Konflikte und die Erlebnisse der Kollektivmitglieder gesprochen. Es gibt ein eigenes Sitzungsgefäss, in dem Themen bearbeitet werden, die neben dem Tagesgeschäft wichtig sind. Sie seien auch im Austausch mit anderen Kollektiven der Reitschule und den Aneigner*innen des Vorplatzes. Wer hier arbeitet sei sich bewusst, was es bedeutet, Teil der Reitschule zu sein, äussert Jay. «Das hier ist ein Begegnungsort und nicht vergleichbar mit einem Kaffee in der Altstadt». Dementsprechend sei das Sous le Pont auch immer im Austausch mit dem Wellnessteam der Reitschule. Gerade wenn grosse Veranstaltungen stattfinden, sei es wichtig, gut aufgestellt zu sein. Herausfordernde Situationen gehören zur Arbeit dazu. Man sei jedoch nie allein, sagt Jay. «Wir schauen zueinander und unterstützen uns in Konfliktsituationen. Wenn es zum Beispiel einen Konflikt auf dem Vorplatz gibt, weiss ich immer: wir sind gemeinsam da – wir geben aufeinander Acht». Dies sei bestimmt auch dem Umstand geschuldet, dass sie untereinander gute Beziehungen hätten und ein Zusammenhalt da sei, meint Jay. Während der Arbeit und danach. Dies zeigt sich auch daran, dass das Sous le Pont auch ausserhalb von Kollektivarbeit ein Treffpunkt für die Kollektivmitglieder ist. «Wir kommen hierher, auch wenn wir nicht arbeiten. Vielleicht trifft man andere vom Kollektiv und trinkt ein Bier oder landet danach im Bermuda». Jay nimmt einen Zug von seiner Zigarette. «Also, ich bin manchmal zu viel da», sagt er und lacht.
Von Massnahmen und Motivation
Die Arbeit des Sous le Pont war, wie bei allen Restaurationsbetrieben, in den letzten zwei Jahren geprägt von wechselnden Massnahmen, die es auf den eigenen Betrieb umzudeuten und gegen aussen zu kommunizieren galt. Damit einher kamen auch ein grosser bürokratischer Aufwand und finanzielle Herausforderungen. Wie die WOZ (3) bereits im Jahr 2021 berichtete, erhielt das Sous le Pont vom Sommer 2020 an keine Kurzarbeitsentschädigung mehr. Die Arbeitslosenkasse hatte dies damit begründet, dass die Kollektivmitglieder auf Grund der basisdemokratischen Strukturen «arbeitgeberähnlich» eingestuft werden können und demnach keine Kurzarbeit zugute hätten. Das Sous le Pont erhob gegen den Beschluss Einspruch und kam vom Verwaltungsgericht schlussendlich recht. Abgesehen von diesen Herausforderungen hätten die letzten beiden Jahre, respektive die damit einhergehende Pause, dem Sous le Pont aus seiner Sicht auch gut getan, meint Jay. Sie hatten Zeit, um Dinge zu flicken, mal durchzuatmen. Die Motivation als Kollektiv auch während dieser Zeit etwas zu machen, war von Anfang an da. Daraus ist unter anderem der Rössli-Kiosk entstanden. Ein Take-Away-Kiosk an dem, anfangs Freitag und Samstag, später dann Donnerstag bis Samstag, Getränke und Essen gekauft werden konnten. Eigentlich war der Aufwand für den Kiosk nicht angemessen, meint Jay, aber sie wollte unbedingt etwas für die Menschen machen und wieder in Austausch kommen. «Wir wollten den Leuten die Möglichkeit geben ein «01»-Bier oder ein Mate zu trinken und dazu eine Portion Pommes zu essen, was sie normalerweise im Sous le Pont während irgendwelchen Diskussionen über die Welt gemacht hätten.» Zudem übernahm das Kollektiv die Aktion «Essen für alle» der Gassenarbeit, da diese nicht genügen Kapazität hatte, um das Projekt selbständig weiter zu stemmen. Sie hätten die Zeit genutzt, um als Kollektiv weiter zu machen und um die Zeit zu vertreiben. Corona habe zwar viele Dinge verhindert, fügt Jay hinzu. Aber diese Projekte hätten das Kollektiv zusammengeschweisst.
Weitere 30 Jahre
Das Sous le Pont gibt es seit dreissig Jahren. «So viele Menschen haben sich hier kennengelernt, so viele Verbindungen sind hier entstanden.» Jay schmunzelt. «Das Sous le Pont verbindet.» Ich frage Jay, ob diese Geschichte manchmal auch eine Last fürs Sous le Pont sei. Er verneint und fügt hinzu, dass die Geschichte eher antreibe. Er hoffe auf weitere 30 Jahre Belebung. «Ich finde es wichtig, den Ursprung und die Geschichte der Reitschule nicht aus den Augen zu verlieren.» Es dürften sich aber auch Dinge verändern. Die Reitschule heute ist nicht mehr das gleiche wie vor 30 Jahren. Klar sei es einfacher, alles beim Alten zu lassen aber das sei aus seiner Sicht nicht der richtige Weg, meint Jay. «Ich finde kritisches Denken und das gegen-aussen-kritisch-Sein wichtig. Selbstkritisch zu sein empfinde ich jedoch als noch wichtiger.» Auch im Sous le Pont sei das wichtig, betont Jay. Ein selbstkritischer Blick öffnet auch die Sicht und verhindert einseitiges Denken. Für die Offenheit des Ortes sei dies wichtig, sagt Jay.
Es kommen immer wieder neue Leute durchs Tor. Die einen gehen mit Sporttaschen weiter Richtung Innenhof oder gesellen sich zu Menschen, die bereits an den Tischen sitzen. Andere stehen unschlüssig vor dem Eingang, bis Jay. sie abfängt. Das Sous le Pont, so scheint, ist auf dem besten Weg weitere 30 Jahre Treffpunkt und Vernetzungsort zu sein – sowohl innerhalb der Reitschule wie auch darüber hinaus.
*Jay ist im Sous le Pont-Rössli Kollektiv und in der Reitschule aktiv. Zum Schutz der Person, wird in diesem Artikel nicht der richtige Name genannt.
1 Das Sous le Pont Jubiläumsfest findet vom 7.8-14.8.22 statt. Programm folgt. Lasst euch überraschen.
2 Die Informationen in diesem Text zur Eröffnung des Sous le Pont stammten aus der Online-Chronologie 1895 – 1998 der Reitschule. Die Chronologien der Reitschule können als PDF auf der Website der Reitschule heruntergeladen werden. http://www.reitschule.ch/reitschule/?geschichte
3 Die verwendeten Informationen stammen aus dem Artikel in der WOZ vom 25.03.2021 zur Situation des Sous le Pont in Bezug auf Kurzarbeit inkl. Nachtrag am 23.09.2021 zum Entscheid des Verwaltungsgerichtes.https://www.woz.ch/2112/corona-call-10-christoph-broennimann/die-reitschule-beiz-im-behoerdendschungel