Wenn die Datenschutzbeauftragten von Stadt und Kanton Bern, der eidgenössiche Datenschützer, das Polizeiinspektorat und etliche Politiker*innen sich tagelang in den Medien zitieren lassen, dann muss wohl die Kacke ziemlich am Dampfen sein. Der Anlass: Vier Kugelkameras, die illegal montiert wurden, Aufnahmewinkel, die die Passantenströme vor dem Hotel Schweizerhof und den Verkehr (und Demos) auf dem Bahnhofplatz zeigten sowie keinerlei Hinweis-/Warnschilder, die auf die Videoüberwachung aufmerksam machten. Und: Die hochauflösenden Aufnahmen wurden alle 14 Tage gelöscht und bei Bedarf sogar der Polizei zur Verfügung gestellt. Angesichts des öffentlichen Zorns nützte auch die Argumentation der Schweizerhof- Leitung nicht viel. Die Kameras seien 2013 aus Selbstschutz montiert worden, nachdem es anlässlich des Tanz Dich Frei 3.0 auch am Schweizerhof Sachschäden gegeben habe. Das kam bei den Datenschutzbeauftragten gar nicht gut an – Die Polizei sei für die öffentliche Sicherheit zuständig und nicht Private.
Illegal, legal, scheissegal
Fakt ist: Private dürfen den öffentlichen Raum nicht überwachen. Fakt ist auch: Das ist vielen Privaten scheissegal. Alle drei Datenschutzbeauftragte gehen davon aus, dass etliche Private in der Stadt Bern illegal Kameras montiert haben – was die Politik nicht gross interessiert. Ein Beispiel: Nach dem einen oder anderen farbenfrohen Anti-Gentrifizierungs- Besuch beim Neubau auf dem ehemaligen Serini- Areal, an der Lorrainestrasse, hängen dort seit einigen Jahren drei auf die Strasse ausgerichtete Kugelkameras mit mutmasslich hoher Auflösung. Auch hier hängen wie beim Schweizerhof keine Hinweisschilder, auch hier wird offenbar nicht nur gefilmt, sondern auch aufgenommen. Und bei Bedarf werden wohl auch hier der Polizei Aufnahmen ausgehändigt.
Big Brother stressen
Sich legal dagegen zu wehren, ist nicht ganz einfach. Die städtische Datenschutzbeauftragte und Ombudsfrau ist zwar am Thema interessiert, aber leider nicht zuständig. Dasselbe gilt für den kantonalen Datenschützer. Zuständig ist der – wie die beiden zuvor genannten – chronisch überlastete, eidgenössische Datenschützer, der zwar einige hilfreiche Merkblätter auf seiner Webseite hat, aber kaum auf Meldungen reagiert bzw. nur sehr allgemeingültig antwortet. Mässig hilfreich. So auch im Fall Schweizerhof: Trotz Meldungen im Vorfeld führte erst der mediale und politische Druck nach der Landfriedensbruch- Prozess-Berichterstattung dazu, dass der Schweizerhof seine Kameras überklebte. Ohne diesen Druck hätte mensch wohl zu anderen Aktionsformen greifen müssen: Zum Beispiel sich im Laubendurchgang von den Kameras filmen lassen und dann gleich rein ins Schweizerhof-Büro und die Löschung der Aufnahmen verlangen. Das mehrmals am Tag und mehrmals in der Woche. Die Reaktion der Schweizerhof-Führung wäre sicher interessant gewesen. Das Ganze ist steigerbar mit einer zivilrechtlichen Klage wegen Persönlichkeitsverletzung. Für viele Leute leider zu hochschwellig.
Datenschutzige Fragen
Momentan sind im Stadtrat und im Grossen Rat noch Vorstösse hängig bezüglich der illegalen Schweizerhof-Videokameras. Ob die Antworten von Gemeinderat und Regierungsrat neue Erkenntnisse bringen, wird sich zeigen. Einige (nichtgestellte) spannende Fragen bleiben wohl unbeantwortet: Wie viele Male hat die Schweizerhof-Leitung der Polizei Videoüberwachungs- Material ausgehändigt? Wurden mit diesen Kameras auch Demos überwacht – sei es live oder nachträglich? Haben sich Polizei und allenfalls Nachrichtendienst mit der Verwendung der Aufnahmen strafbar gemacht? Und: Haben 5 Jahre illegale Überwachung eigentlich keine juristischen Konsequenzen?