m*: Als ich deinen Namen zum ersten Mal hörte, da hiess es, du seist einer der ersten gewesen, die Hip-Hop in der Schweiz bekannt gemacht hätten.
Black Tiger: Das stimmt nicht ganz. In Basel gehörte ich zur dritten Hip-Hop-Generation. Vor mir gab es viele andere, die Hip-Hop schon lebten. Mit Luana hatten wir zum Beispiel Mitte der 80er die erste und bekannteste Rapperin, zu deren Konzerten oft auch Gäste aus dem Ausland anreisten. Damals war der Gaskessel in Biel das Hip-Hop-Zentrum Europas. Es stimmt aber, dass ich den Boom auslöste, auf Schweizerdeutsch zu rappen.
Wir wollen heute über Hip-Hop, Basel und dich sprechen.
Black Tiger: Meine erste Liebe im Hip-Hop war Graffiti. Meine Mutter nahm mich 1984 mit an eine Foto-Ausstellung, die sich angemalten Zügen in New York widmete. In der gleichen Zeit kamen die Kult-Filme «Beat Street» und «Wild Style» raus. Sie machten Hip-Hop der breiten Masse zugänglich. Damals ging ich mit zwölf Jahren zum ersten Mal alleine ins Kino (lacht). Und dann gab’s die Musik. Mit meinem wenigen Geld kaufte ich reduzierte Platten. Ich war total fasziniert von der Hip-Hop-Kultur.
Wie war in Basel damals die Stimmung?
Black Tiger: In den 80ern herrschte bei uns eher ein raues Klima mit wenig Geld, viel Kreativität aber auch Gewalt. Ausserdem war es schwierig, in die Szene rein zu kommen. Die Älteren waren den Jüngeren gegenüber skeptisch eingestellt. Die nächste Generation sollte sich nicht einfach ins gemachte Nest setzen, sondern etwas leisten. Respekt, aber auch Hierarchie wurden grossgeschrieben. «Machsch nüt, bisch nüt» war das Motto, was besser war als «hesch nüt, bisch nüt», so wie es in der Gesellschaft sonst ist. Es kam nicht darauf an, wer man war, sondern was er oder sie gemacht hat. Deshalb sprach Hip-Hop so viele Secondas und Secondos an. Du konntest dir ein Alter Ego erschaffen, einen neuen Namen kreieren und bekamst so etwas wie eine zweite Chance. Das Ziel war «Fame». Über die Jahre gab es neue Einflüsse und alles begann sich zu verändern. Plötzlich kamen das Geld und das Interesse der Industrie hinzu. Das ist übrigens auch ein Grund, warum Gangsterrap in Deutschland gross wurde.
Weil die Gangsterrapper das verkörpern, was sich Jugendliche wünschen?
Black Tiger: Nicht nur deshalb. In Deutschland hat in den 90er Jahren die Mittelschicht Rap dominiert. Sie konnte sich die teuren Geräte leisten, um Musik zu produzieren. Die Pioniere der 80er und die Jugendlichen aus den ärmeren Vierteln hatten diese Möglichkeit oft nicht. Als Ende der 90er das Produzieren auch Zuhause möglich wurde und via Internet der Eigenvertrieb von Musikkassetten begann, konnte sich Rap von der Strasse aufbauen und an Relevanz gewinnen. Neue Technologien und finanzielle Mittel führen oft zu einem Wandel. Erst der Stromunterbruch von 1977 in New York ermöglichte den Aufstieg von Hip-Hop. Die Jugendlichen aus der Bronx stiegen in Läden ein und holten sich Geräte. Zum Vergleich: Ich habe mir erst 1998 meinen ersten Sampler leisten können. Vorher war ich total eingeschränkt. Hier rührt sicher auch ein Frust der Old School her: Heute ist es viel einfacher und billiger, Musik zu machen. Die sozio-ökonomischen Ungleichheiten sind aber immer noch vorhanden.
Verstehst du dich als politisch?
Black Tiger: Ich würde mich als sozialkritisch bezeichnen. Teile meiner Familie waren aber in der Politik. Mein Vater kehrte kurz vor seinem Tod der Politik desillusioniert den Rücken. Er empfand, dass es in den oberen politischen Reihen nur noch um Machterhalt ging und nicht um die Vertretung des Stimmvolks. Das machte mich vorsichtig. Mir fehlen in der Politik auch heute oft Transparenz und Aufrichtigkeit.
Zurück zum Hip-Hop. Wie war das eigentlich mit den deutschen Pionier*innen?
Black Tiger: Da gab’s den harten Kampf um die Kommerzfrage. «Die Fantastischen Vier» galten als Spassgruppe innerhalb der Hip-Hop-Szene. «Advanced Chemistry» wollten Rap eher als Sprachrohr nutzen für diejenigen, die im medialen Alltagsgetöse nicht gehört wurden. Mit «Fremd im eigenen Land» gelang ihnen ein Song, der das Lebensgefühl einer ganzen multikulturellen Generation beschrieb. Fanta Vier wiederum unterschrieben einen Plattenvertrag beim Major-Label Sony. Niemanden störte das, bis «Die Da?!» durch die Decke ging. Kurz darauf lautete der Vorwurf: «Die verkaufen sich an die Industrie!». Und die will uns alle mit ihrer «Unter-Haltung» unten halten. Ich kannte damals beide Gruppen persönlich und stand gewissermassen dazwischen, obwohl ich den Untergrund-Gedanken klar bevorzugte.
Hat sich an deiner Meinung dazu etwas geändert?
Black Tiger: Heutzutage empfinde ich es als wenig hilfreich, wenn man dogmatisch versucht, zwischen richtigem und falschem Hip-Hop zu unterscheiden. Ich hatte mal eine interessante Diskussion mit Kutti MC, die mir die Augen öffnete. Mir gefiel nicht, wie er rappte, aber er konfrontierte mich mit der Frage nach Ästhetik und Bewertung. Und ich merkte: Wer bin ich, dass ich urteile und ihm die Bezeichnung «Hip-Hop» aberkenne? In meinem «D’Wohret» versuche ich aufzuzeigen, wie unterschiedlich die Blickwinkel der Menschen auf die gleiche Sache sind. Es ist wichtig, dass wir unserer Positionen bewusstwerden und die anderen Sichtweisen auch verstehen lernen.
Wie wurde Hip-Hop missbraucht oder interpretiert?
Black Tiger: Die DDR unterstützte zum Beispiel Hip-Hop, weil es eine Antikultur im Land des Klassenfeindes war. Und in den USA kam bald das grosse Geld und der Gangsterrap – und damit die Verdrehung der eigentlichen Idee von Hip-Hop: Sich auszudrücken und die eigene Ohnmacht und Wut zu kanalisieren, wie es zum Beispiel Afrika Bambaataa beschrieb.
Ich unterscheide Gangsterrap von Streetrap. Streetrap kann sich genauso explizit mit Problemen auseinandersetzen. Oft wird jedoch nur eine Situation beschrieben und nicht bewertet. Gangsterrap hingegen verherrlicht das kriminelle Leben, Drogen und Gewalt. Das spielt der Gefängnisindustrie in die Karten. Etwa gleichzeitig mit Beginn des Gangsterraps in den USA fand die Privatisierung der Gefängnisse statt. Da frage ich mich schon, ob das nur Zufall war.
Nun, so fern ist die Überlegung nicht. Man denke an das illegale Infiltrierungs- und Zersetzungsprogramm des FBI «COINTELPRO».
Black Tiger: Danke, dass du COINTELPRO erwähnst. Diesen Skandal kennen leider die wenigsten. Genauso wenig wie die Black Panthers. Vermutlich ist dir ja klar, dass «Black Tiger» und die Black Panthers keine zufällige Namensverwandtschaft haben. Black Tiger war damals ein Statement. Ich selbst sehe mich durch meine Wurzeln als Teil der Afro-Schweizerischen Community. Dadurch aber, dass ich als weiss wahrgenommen werde, profiliere ich mich nicht gross damit. Es gibt sicher bessere Repräsentanten, wie zum Beispiel die Rapper Nativ und Dawill, die ich beide schätze.
Ich finde, man hört aus deinen Songtexten sehr gut raus, dass da nicht ein Klischee-Schweizer rappt, sondern jemand, der auf soziale Ungleichheit, Diskriminierung und Machtverhältnisse aufmerksam machen will – auch aus eigener Erfahrung.
Black Tiger: Danke. Ich habe immer eine Message mit meinen Texten rüberbringen wollen, und das ist bis heute so. Wenn du Stellung beziehst, kannst du aber auch abgestempelt oder falsch verstanden werden. Medien vereinfachen und reduzieren Inhalte oft und so kann es sein, dass ein Statement von dir plötzlich ganz anders rüberkommt, als du es gesagt oder gemeint hast. Grundsätzlich hat mich der alltägliche Rassismus gegenüber meiner schwarzen Mutter stark geprägt. Auch wenn ich als privilegierter weisser Schweizer wahrgenommen werde, ist und bleibt meine Sozialisation multikulturell, geprägt vom finanziellen Stress im Alltag.
Bist du nachdenklicher geworden?
Black Tiger: Ja. Wir haben alle unsere Vorurteile und sollten erst in den Spiegel blicken, bevor wir andere verurteilen. Demokratie auszuhalten und andere Meinungen zu akzeptieren, ist schwer. Die Welt ist ständig im Wandel. Auch Lebensumstände und Meinungen ändern sich. Mit 20 weiss man auch meistens mehr als mit 40. Verstehst du, wie ich das meine? (lacht).
Ich war früher plakativer und kämpfte lautstark gegen Rassismus. 1993 hatte ich sogar einmal Polizeischutz, weil ich gegen den Ku-Klux-Klan rappte. Heute rappe ich lieber für etwas. Auf der anderen Seite hilft auch konsequentes Handeln. Bis auf sehr wenige Ausnahmen habe ich mich den Grossfirmen, Banken und Pharmakonzernen verweigern können und Angebote, dort zu rappen, abgelehnt. Aber ich mache mir auch nichts vor: Ohne die Pharma und die Banken wäre Basel nie so reich. Es gäbe wohl viel weniger Kulturförderung. Aber auch das könnte mit einem «Aber» gekontert werden. Eigentlich gibt es immer ein «Aber!», wenn du Dinge differenziert betrachtest. Manchmal hilft es mir, zu schweigen und die Gedanken setzen zu lassen.
Urs Baur alias Black Tiger ist 47 und lebt in Basel. Mit dem Projekt «1City1Song» gelang es ihm 2013, die heterogene Rap-Szene in und um Basel in einem anderthalbstündigen Track zu vereinen. Im Moment besucht er die Weiterbildung «Geschlechterreflektierte Arbeit mit Buben, Männern und Väter». Demnächst bringt er ein neues Album raus. Die Plattentaufe ist am 9. Mai 2020 im Sommercasino Basel.