Das Ende der Welt, es ist über uns hereingebrochen. Die Sirenen heulen, der Himmel steht in Flammen… und spätestens jetzt wünsche ich mir, ich hätte im Erste-Hilfe-Kurs besser aufgepasst und mehr als zwei 1,5-Liter-Flaschen Mineralwasser im Vorratsschrank stehen. Soll ich Bargeld einpacken oder Goldschmuck, den ich nicht habe, damit ich auch nach dem Weltuntergang weiterhin am kapitalistischen System teilnehmen kann? Mein knallbunter Rucksack – für feindliche Plünderer*innen von weit her sichtbar – wird mir noch zum Verhängnis werden… und wo ist verdammt noch mal mein Sackmesser hin verschwunden?!
Hätte ich mich nur besser vorbereitet, wie es mir die «Prepper*innen» in den einschlägigen Podcasts, Youtube-Videos und Online-Foren geraten haben.
Bomben, Bunker und Büchsenravioli
Prepper*in?
Wer bei dem Begriff an HIV-Prävention denkt, sei hiermit aufgeklärt: Im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Weltuntergang bezeichnet «Prepping» (1) (von englisch «to prepare», deutsch: sich vorbereiten) die Vorbereitung auf Katastrophenszenarien. Dies kann ein Unwetter, Stromausfall, Krieg oder eben das Ende der Welt sein. Die Vorbereitung kann dabei verschiedenste Formen annehmen – vom Anlegen eines einfachen Notvorrates über mehrtägige Überlebenstrainings mit Waffen bis hin zum Bau eines Bunkers. Das Ziel ist dabei immer das Aufrechterhalten der eigenen Handlungsfähigkeit und Überlebenschancen – notfalls, indem Konservendosen und Munition gehortet und alles niedergeschossen wird, was eine Gefahr darstellen könnte.
So überrascht es denn auch nicht, dass die Prepping-Szene in erster Linie mit Verschwörungserzählungen, Rechtsextremismus und Faschismus in Verbindung gebracht wird: Die Vorbereitung von einer Minderheit gewaltbereiter Auserwählten auf den unweigerlich bevorstehenden – ja gar herbeigesehnten – Zusammenbruch der Gesellschaft. So standen Prepper*innen 2020 in Deutschland in den Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass sich unter anderem auch Mitglieder der Bundeswehr und Reichsbürger*innen in der Szene bewegten und auf einen «Rassenkrieg» vorbereiteten. Die reaktionäre (2) Geschichte von Prepping und seine Verbindungen zu staatsfeindlichen, rechtsextremen Gruppierungen werden von verschiedenen antifaschistischen Recherchekollektiven und im aktuellsten Magazin der «WOZ», («wobei» 4/23, vom 06. Juli 2023) ausführlich beleuchtet.
Forschende warnen jedoch davor, Prepper*innen vorschnell als reaktionäre Rechte abzutun. So meint der Kulturanthropologe Julian Genner, die Szene sei vielfältig, und Extremismus werde von vielen (zumindest vordergründig) abgelehnt. Sie lebe jedoch immer ein Stück weit vom Misstrauen gegenüber dem Staat und den Mitmenschen. Damit bleibe die Szene anfällig für Verschwörungserzählungen und dadurch befeurte politische Ideologien. Der Sozialwissenschaftler Mischa Luy hat in einer kleinen Studie zu Prepper*innen in Deutschland zudem festgestellt, dass die Gründe, weshalb jemand zur Prepper*in wird, eher persönlich als politisch sind: Prepper*innen haben oft ein erhöhtes Bedürfnis nach Sicherheit und Handlungsmacht. Das heisst, sie wollen auch in Ausnahmesituationen unabhängig und handlungsfähig bleiben. Dazu kommen ein eher pessimistisches Weltbild und (vermeintlich) unsichere Zukunftsperspektiven – ob diese bloss eingebildet oder real sind, ist in Anbetracht von Pandemie, Klimakrise und Ukraine-Krieg jedoch längst nicht mehr eindeutig.
Ein Blick in einschlägige Foren, Podcasts und Anleitungen bestätigt diese düster-deprimierende Einschätzung: Da ist zum Beispiel der Familienvater, der sich Sorgen um den Niedergang traditioneller Werte und angebliche Plünderungen in Grossstädten macht, und deshalb überlegt, mit seiner Familie in die Wildnis zu ziehen. Oder die Prepperin, die sich nach sicheren Verhütungsmethoden für die Zeit nach dem Weltuntergang erkundigt, da sie dann unweigerlich vergewaltigt werde. UFOs, Kulturkampf und Rachefantasien werden wild miteinander vermischt. Alles in allem lässt sich die Weltsicht der meisten Prepper*innen wie folgt zusammenfassen:
1. Der Weltuntergang kann jederzeit über uns hereinbrechen.
2. Nur die Stärksten und Heldenhaftesten unter uns haben eine Chance, ihn zu überleben.
3. Auf andere Menschen ist in Krisen kein Verlass, beziehungsweise stellen sie eine Gefahr dar, die es zu meiden oder noch besser auszuschalten gilt.
Ist Prepping also nichts mehr als ein misstrauischer Weltuntergangskult, der das Recht des Stärkeren und menschenfeindliche Selbstzentriertheit über alles andere stellt?
Kollektiv, Kompost und Kropotkin
Wenn Prepping nun aber Hand in Hand mit menschverachtenden Weltdeutungen geht, wieso wollen dann immer mehr Menschen aus meinem Umfeld – welches definitiv weder reaktionär noch menschenfeindlich ist – vorbereitet sein? Müssen Sorgen über die Zukunft zwingend zu Faschismus, muss das Bedürfnis, die eigene Handlungsfähigkeit zu erhalten, zwingend zu übersteigertem Individualismus (3) führen?
Unabhängig von der Ideologie gilt: Prepper*innen fühlen sich ohnmächtig in Anbetracht des vermeintlich drohenden Zusammenbruchs der bestehenden Ordnung und wollen etwas dagegen tun. Und das bringt uns zu einer bisher noch gar nicht diskutierten Gruppe von Menschen, die ebenfalls am bestehenden System zweifeln und sich auf ein Danach vorbereiten: Anarchist*innen. Auch wenn sich die meisten davon nicht Prepper*in nennen, weil der Begriff noch immer stark mit Reaktionären und Rechten in Verbindung gebracht wird, das grundlegende Bedürfnis nach Vorbereitung ist dasselbe. So zeigen zum Beispiel die anarchistischen Autorinnen und Aktivistinnen Margaret Killjoy und Kitty Stryker, dass Vorbereitetsein auch nachhaltige Abfallverwertung, antifaschistischen Widerstand und Nachbarschaftsunterstützung umfassen kann. Und darin zeigen sich die grundlegenden Unterschiede zum Weltbild von reaktionären, rechten Prepper*innen:
1. Der Weltuntergang ist kein plötzlicher Schicksalsschlag sondern ein menschgemachter Prozess, der für viele – insbesondere benachteiligte – Menschen schon lange Realität ist und sich aufgrund der Klimakrise weiter verschärfen wird.
Auf was genau bereiten wir uns vor? Auf die sich schicksalshaft am Horizont abzeichnende Götterdämmerung, während der wir endlich ungestraft alles niederschiessen können, was uns schon immer ein Dorn im Auge war? Oder auf den materiellen und psychischen Ausnahmezustand, der für viele von uns schon lange Normalzustand ist? Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass apokalyptische (4) Szenarien in aller Regel nicht als Feuer und Schwefel vom Himmel fallen, sondern in der Gestalt von Hungersnot, Krieg und Unterdrückung über Gesellschaften hinwegfegen und menschgemacht sind. Ist die geflüchtete Person, die nicht weiss, wo sie morgen schlafen wird, im Grunde nicht bereits Prepper*in? Und ist die Angst vor Veränderung, vor einem Verlust des eigenen Wohlstandes und Besitzes nicht bereits an sich ein Privileg?
2. Ein rücksichtsloses, individualistisches Überleben auf Kosten anderer ist nicht erstrebenswert.
Gegen was kämpfen wir? Gegen unsere Mitmenschen, denen von Grund auf nicht zu trauen ist und gegen die es sich deshalb mit dem Recht des Stärkeren durchzusetzen gilt? Oder doch eher gegen Ungerechtigkeit, Klimakollaps und ins Verderben führenden Egoismus? Vorbereitetsein – so die Botschaft hinter vielen Prepping-Leitsätzen – verschafft dir im Ernstfall einen Vorteil anderen gegenüber. Die Fantasie, als Held*in aus der Apokalypse hervorzugehen, beinhaltet somit immer auch das Scheitern und Sterben anderer Menschen. Ist ein solches Überleben überhaupt noch erstrebenswert? Und was macht es mit unserer Menschlichkeit, wenn wir uns zum Erhalt unseres Selbst faschistischer Ideen und Bilder bedienen müssen (Recht des Stärkeren, Götterdämmerung, Abwehr gegen äussere Feinde)?
3. Der Mensch ist ein soziales Wesen, welches sich in Krisen gegenseitig hilft.
Und damit wären wir bei der zentralen Frage: Was für ein Bild haben wir von unseren Mitmenschen? Grössere gesellschaftliche Umbrüche und Katastrophen gehen in der Regel mit dem Zusammenbruch gesellschaftlicher Strukturen und Institutionen einher – doch bedeutet das auch ein Wegbrechen sämtlicher Menschlichkeit? «Die grösste Gefahr geht von anderen Menschen aus», wird von Prepper*innen gerne betont. Müssen wir uns also auf Horden von gierigen Zombies einstellen, die abgewehrt werden müssen? Oder können wir darauf vertrauen, dass wir Ausnahmesituationen als soziale Spezies gemeinsam meistern werden? Historische Ereignisse wie der Hurrikan Katrina oder die Coronapandemie zeigen nämlich, dass Menschen in Krisen insbesondere zu Beginn eher dazu neigen, sich gegenseitig zu helfen anstatt einander auszunutzen. Ist also auch ein gemeinschaftliches Vorbereitetsein möglich?
Übergang statt Untergang
Ein zentraler Begriff in diesem Zusammenhang ist derjenige der «Gegenseitigen Hilfe», welcher massgeblich vom anarchistischen Denker Peter Kropotkin geprägt wurde und besagt, dass gegenseitige Unterstützung grundsätzlich in der menschlichen Natur angelegt ist. Kropotkins Theorie ist damit eine direkte Kritik am zu seiner Zeit vorherrschenden Verständnis des Darwinismus (5) – dass der Stärkste sich ohne Rücksicht auf andere durchsetzen wird. Die Idee der Gegenseitigen Hilfe wurde längst von verschiedensten Aktivist*innen und Kollektiven aufgenommen und findet unter anderem auch in der Katastrophenhilfe Anwendung. Im Prepping-Kontext kann Gegenseitige Hilfe im Teilen von Vorräten, Aufbau von Nachbarschaftshilfe-Netzwerken oder dem Zur-Verfügung-Stellen von niederschwelligem Wissen bestehen. Gegenseitige Hilfe kann auch mit zivilisationskritischen Gedanken verknüpft werden. Die «Post-Civilization Theory» stellt ein konkretes Programm auf, in dem der Zusammenbruch der bestehenden Ordnung in einen Übergang statt einen Untergang verwandelt wird.
Prepping ist also ein Versuch, mit durch Ausnahmesituationen und Umbrüche ausgelösten Ohnmachtsgefühlen umzugehen. Zwischen Prepper-Szene, Verschwörungsanhänger*innen und reaktionären Rechten gibt es viele Überschneidungen, doch sie sind nicht deckungsgleich. Vielmehr sind persönliche Zukunftsängste und ein grundsätzliches Misstrauen dem Staat und anderen Menschen gegenüber zentrale Merkmale. Doch Vorbereitetsein ist auch mit einem vorwärtsgerichteten, menschenfreundlichen Weltbild möglich. Anarchist*innen zeigen mit dem Grundsatz der Gegenseitigen Hilfe und der Post-Civilization Theory, wie das geht. Ganz nach dem Motto: Vorbereitung ist gut, Gemeinschaft ist besser.
Deshalb blicke ich der Apokalypse gelassen entgegen. Sollte ich meinen knallbunten Rucksack eines Tages doch noch packen müssen, werde ich eine Wasserflasche, einen warmen Schlafsack, Kropotkins Buch «Gegenseitige Hilfe» (alternativ auch als Feuerstarter einsetzbar), und Tee und Schokolade zum Teilen mitnehmen. Das wird schon reichen. Und wenn nicht, dann sterbe ich immerhin nicht alleine in einem öden Bunker.
1 Früher war insbesondere im englischen Sprachraum auch der Begriff «Survivalism» üblich, dieser war jedoch so eng mit rechtsextremen Gruppierungen und Terrorakten verknüpft, dass er inzwischen grösstenteils vom neutraleren Begriff «Prepping» abgelöst wurde.
2 Rückwärtsgerichtet, vergangene Zustände wieder herstellen wollend.
3 Individualismus als Wertsystem stellt den einzelnen Menschen und dessen Selbstverwirklichung über die Gemeinschaft. Als solches ist er weder eindeutig links noch rechts, steht aber oft in der Nähe zu politischen Ideologien wie Liberalismus oder Kapitalismus.
4 Weltuntergang, hierzulande meist mit christlich-epischem Beiklang.
5 Von Charles Darwin begründete Theorie zur Artenvielfalt und Evolution, die oft missverstanden wird oder als Begründung für menschenfeindliche Ideologien herhalten muss.