Das Jahr 2023 ist zu Ende gegangen. Die Schweiz wurde im letzten Jahr auf parlamentarischer Seite beträchtlich rechter und konservativer und die Polizei und Staatsanwaltschaft griff brutaler und repressiver gegen die ausserparlamentarische Linke durch. Die Mieten sind noch weiter in die Höhe geschossen, bezahlbarer Wohnraum ist in den grossen Städten der Schweiz nur noch schwer zu finden, generell wurde alles teurer. Doch gleichzeitig hat sich im letzten Jahr so viel Widerstand wie schon lange nicht mehr gegen die Gentrifizierung der Städte gezeigt. In Zürich, Basel und Bern wurden im Jahr 2023 zahlreiche Häuser und leerstehende Brachen besetzt. Hier ein Einblick zu den Situationen der jeweiligen Städte im letzten Jahr.
Zürich
Viele Gemüter aus der Besetzungsszene Zürich schauen wohl mit einer gewissen Trauer und Wut auf das Jahr 2023 zurück. Denn am 16. Februar wurde das berüchtigte Koch Areal polizeilich geräumt. Das Koch Areal war über zehn Jahre hinweg besetzt. Es war ein Wohnort für 150 Menschen und wöchentlich gab es Veranstaltungen. Das Koch Areal war ein Begegnungsort und ein wichtiges politisches Zentrum für die linksautonome Szene. Doch der Stadt Zürich war die Besetzung ein Dorn im Auge. Sie kaufte das Areal im Jahr 2013 und plante kurzerhand eine riesige Überbauung, welche 2026 beendet sein sollte. Die Koch-Besetzer*innen wurden, nach dem die Baubewilligung erteilt wurde, mit einem Grossaufgebot vertrieben.
Die Wut und Trauer rund um die Räumung des Koch-Areals führte jedoch zu zunehmendem Widerstand und etlichen neuen Besetzungsversuchen in Zürich im letzten Jahr. Kurz nach der Räumung gab es zudem einen Demonstrationszug, der deutlich zu erkennen gab, dass die Räumung nicht stillschweigend hingenommen wird. Das Communiqué der Demonstration gab klar zu verstehen, was die aktuelle Lage in Zürich ist: «Zurzeit begegnen wir in Zureich [gängiges Wortspiel wegen dem zu reichen Zürich] einer fast unvergleichbaren Wohnungsnot. Der Ausverkauf unserer Stadt an Grossunternehmen und Privatinvestor*innen des internationalen Finanzplatzes Zürich schreitet ungehindert voran. Gleichzeitig werden neue Besetzungen mit fadenscheinigen Argumenten sofort wieder geräumt.» Anschliessend nahmen die Verfasser*innen des Communiqués Stellung zur Unterscheidung von Zwischennutzungen und Besetzungen: «Dass Zwischennutzungen nicht dasselbe wie Besetzungen sind und dass wir uns damit nicht zufriedengeben werden, scheint in den Köpfen der Stadtregierung noch nicht auf Verständnis zu treffen. Das Koch hat uns nicht zuletzt immer wieder gezeigt, wofür wir kämpfen: dass Kultur kein Konsumgut ist, dass Arbeit so viel mehr ist als der Bürojob, dass einem das Dach nicht gleich auf den Kopf fällt, nur weil man die richtigen Formulare und Bewilligungen und Papierchen nicht eingereicht hat, dass Utopien noch geträumt werden können!»(1)
Unter dem Slogan und der Kampagne «Alles wird besetzt» wurden fleissig vor und nach der Räumung des Kochareals in der ganzen Stadt Zürich Häuser und Plätze besetzt. Einige der Besetzungen haben sogar Früchte getragen. So wurde beispielsweise der am 25. Juni zum zweiten Mal besetzte «Post-Squat» am Wipkingerplatz 7 bis heute nicht geräumt und hat sich bereits zu einem wichtigen Treff- und Veranstaltungsort in Zürich entwickelt. Obwohl er die Dimension des Koch Areals nicht gleichermassen zu ersetzen mag, hat der «Post-Squat» zweifellos gezeigt, dass ein besetztes Soziales Zentrum in Zürich notwendig ist und dieses Bedürfnis nicht einfach polizeilich weggeräumt werden kann. Zudem haben die über 1000 Menschen, die sich am 4. November in Zürich auf der Strasse an der «Grossdemonstration gegen die Wohnungskrise» beteiligten, nochmals unmissverständlich betont; die Wohnungskrise ist real und für gerechten und bezahlbaren Wohnraum braucht es Widerstand von der Bevölkerung.
Doch nicht nur in der Stadt Zürich war einiges im Jahr 2023 los, auch im naheliegenden Winterthur kamen Ende Mai verschiedenste Menschen zusammen und haben ein grosses Treffen «Gegen die Stadt der Reichen» organisiert. Es gab während vier Tagen ein diverses Programm und gemeinsam wurde versucht, neue Perspektiven gegen die Aufwertung der Städte zu finden.
Basel-Stadt
Obwohl sich in Basel auf parlamentarischer Abstimmungsebene im Jahr 2021 ein klares JA für den Mieter*innenschutz durchgesetzt hat, ist noch immer eine starke Abnahme von bezahlbarem Wohnraum in der Stadt zu beobachten. Im Mai 2022 ist das neue Wohnraumförderungsgesetz (WRFG) in Kraft getreten. Dieses hat den Schutz der mietenden Parteien erhöht und sollte sinnlosen Abriss und Neubau von Häusern verhindern. Doch das altbekannte Problem bei Gesetzen ist auch hierbei zutreffend; Gesetzesartikel sind Auslegungssache. Seit dem Mai 2022 gibt es also trotz den neuen Bestimmungen immer wieder Massenkündigungen in Basel-Stadt und es wird weiterhin profitorientiert gebaut. Zudem haben viele Hauseigentümer*innen noch vor dem Inkrafttreten des neuen WRFG schnellstmöglich ihre Baugesuche eingereicht um die neuen Bestimmungen zu umgehen. Es hat sich also mal wieder gezeigt: auf Gesetzesrevisionen ist kein Verlass, es braucht Widerstand von unten.
Und das gab es in Basel im letzten Jahr. Zahlreich. Es wurde nicht nur bezahlbarer Wohnraum gefordert, sondern im Spezifischen wurde auch auf die Diskriminierung von queeren Menschen auf dem aktuellen Wohnungsmarkt hingewiesen. Am 18. Januar 2023 hat eine queere Besetzungsgruppe die Hardstrasse 99 besetzt. In ihrem Communiqué schrieb sie: «Weitgehend unsichtbar bleibt dabei, dass gendernonkonforme- und trans-Personen besonders mit Wohnungslosigkeit zu kämpfen haben. Als marginalisierte Gruppe werden wir strukturell bei der Wohnungssuche diskriminiert und sind überdurchschnittlich von Armut betroffen. Daran wird sich auch nichts ändern, solange unsere Quartiere nach kapitalistischen Interessen gestalten werden, wo Hauseigentümer*innen es sich leisten können, Häuser einfach leerstehend zu lassen. Darauf haben wir kein Bock mehr!»(2). Eine Woche später wurde das besetzte Haus in den frühen Morgenstunden polizeilich geräumt, bis heute steht die Hardstrasse 99 leer.
Dies ist ein Bild, dass sich noch mehrmals im letzten Jahr in Basel abgezeichnet hat. Denn alle neun Haus- und Wagenplatzbesetzungsversuche wurden entweder gleichentags oder spätestens nach einer Woche geräumt. Trotz den vielen erfolglosen Versuchen bleibt zu hoffen, dass es auch in diesem Jahr in der Besetzungsszene in Basel so hiesig wie im Jahr 2023 weitergehen wird. Denn besetzter Wohn- und Kulturraum ist und bleibt notwendig. Hierbei darf nicht vergessen werden, dass es in Basel zurzeit drei bestehende Hausbesetzungen und einen Wagenplatz gibt. Die «Elsi», ein Wohnort für rund 40 Personen und zeitgleich ein sozialer Treffpunkt, feiert bald ihren fünfjährigen Geburtstag. Die «Ambi» gibt es auch bereits seit zwei Jahren und die «MG» und der Wagenplatz sind ebenfalls noch immer belebt.
Bern
Die grüne Hauptstadt Bern ist die Hochburg der Wagenplätze schlechthin. Die Wagen und selbstgebauten kleinen Häuschen gedeihen immer vielfältiger auf den bestehenden Enklaven der Friedlichkeit. Keine andere Stadt hat eine solch allgemein akzeptierte Wagenplatzkultur wie die Stadt Bern.
Doch auch in den Hausbesetzungskreisen ist es im Jahr 2023 nicht still geblieben. Im Zeitraum zwischen April und Juni gab es vier Versuche in Bern, eine neue Hausbesetzung zu starten. Doch leider ohne Erfolg. Teils wurden die Häuser polizeilich geräumt, teils aufgrund ausbleibender Verhandlungsmöglichkeiten beendet. In Bern hat sich etabliert, dass die Besetzungen, sowohl von Plätzen als auch von Häusern, meistens direkt auf einen Vertrag abzielen und somit einen Status der Legalität erhalten, durch den sie nicht ohne Vorwarnung geräumt werden können. Dies gibt den wohnenden Menschen eine gewisse Stabilität und ermöglicht eine Perspektive im eigenen Projekt. Jedoch bleibt der Grad zur Zwischennutzung schmal und die Meinungen darüber, ob eine Besetzung mit einem Vertrag überhaupt noch eine Besetzung ist, gehen auseinander. Die Reitschule als Beispiel, besetzt in den wilden achtziger Jahren, wird von manchen Seiten nicht mehr als Besetzung angesehen, da sie ein Abkommen mit der Stadt und den anfänglichen radikalen Charakter einer Besetzung verloren hat.
Vertrag hin oder her, es gibt sicherlich ein paar Orte, wie das junge und tatkräftige «Tripity», die momentan in der Stadt Bern eine Alternative zu herkömmlichen Raumnutzung darstellen, als Besetzungen begonnen haben und wichtige Treffpunkte und Wohnorte sind.
Zusätzlich hat sich zu Beginn des Jahres eine Gruppe in Bern gebildet, die eine Webseite namens «Unlock the City» erstellt hat. Auf der Webseite befindet sich eine geografische Karte der Stadt, die mit kleinen Besetzungszeichen versehen ist. Bei einem Mausklick auf eines der Zeichen, wird die sich dort befindende, vergangene oder bestehende, Besetzungen abgebildet. Auf der Karte ist klar zu erkennen, auch wenn das Jahr 2023 in Bern eher ruhig war, so hat es in vergangenen Jahren viel radikalen Widerstand von unten gegen die Gentrifizierung der Stadt gegeben.
Wie weiter
Es steht noch in den Sternen, wie es in den Städten Bern, Zürich und Basel in diesem Jahr bezüglich Besetzungen weitergehen wird. Doch die Stimmung scheint angeheizt zu sein und eines ist klar: das Thema Wohnungsnot wird immer dringlicher und es ist noch lange keine geeignete Lösung für alle Menschen in Sicht.
Zudem zielt der Bundesrat darauf ab, einen Vorstoss des FDP-Nationalrates Olivier Feller umzusetzen. Der Bundesrat möchte das sogenannte Selbsthilferecht zu Gunsten der Hausbesitzer*innen präzisieren. Dabei soll es den Hausbesitzer*innen in Zukunft besser möglich sein, bei einer allfälligen Besetzung das Haus mittels «verhältnismässiger Gewalt» selbst zu räumen. Sobald die Hausbesitzer*innen von der Besetzung ihrer Liegenschaft erfahren haben und amtliche Hilfe nicht sofort zu erreichen ist, steht es ihnen frei, sich selbst gegen die Besetzer*innen zu wehren. Was genau unter «verhältnismässiger Gewalt» zu verstehen ist, liegt in der Auslegung des Gesetzes. Oder auch der Hausbesitzer*innen. So gab es auch schon in jüngerer Vergangenheit Fälle, in denen sich Hausbesitzer*innen ihre eigene Security an Bord geholt haben und gegen Besetzer*innen vorgegangen sind. Dies soll nun rechtlich legitimiert werden. Eine sehr fragliche Entwicklung, angesichts des sonstigen Gewaltmonopoles beim Staat und angesichts einer direkten Demokratie hierzulande, welche Selbstjustiz verhindern sollte. Ohne das bestehende demokratische System in der Schweiz zu befürworten, ist es doch fraglich, wenn sich wohlhabende Hausbesitzer*innen zukünftig selbst gegen Besetzer*innen wehren können. Zudem ist es aus juristischer Perspektive schwer bedenklich, dass erst in einem allfälligen nachträglichen Gerichtsprozess (der mit hohen Kosten verbunden ist), geprüft wird, ob die von den Hausbesitzer*innen angewendete Gewalt verhältnismässig war. Hinzukommend soll gemäss Botschaft des Bundesrates zukünftig nur noch eine gerichtliche Verfügung für eine Zwangsräumung eingeholt werden müssen. Dies soll eine Räumung schneller und mit weniger Hürden ermöglichen. Die Botschaft des Bundesrates enthält nun den Entwurf für einen Erlass bezüglich diesen Änderungen und das Parlament wird im kommenden Jahr darüber debattieren.
Aus diesen Entwicklungen wird ersichlichtlich, dass sich die parlamentarische Politik gegen die Besetzer*innen und den Widerstand von unten zu wehren versucht. Umso mehr braucht es klare Stimmen und Aktionen gegen die steigende Repression und die zunehmende Aufwertung der Städte. Es wird sich abzeichnen, was die steigenden Mieten, die aktuellen Debatten und die Aufwertung der Quartiere in Zukunft an Widerstandsformen auslösen werden.
(1) Communiqué zur Demonstration vom 18.02.2023, veröffentlicht am
20.02.2023 auf dem Instagramkanal «alleswirdbesetzt»
(2) Communiqué zur Besetzung der Hardstrasse 99, veröffentlicht am
18.01.2023 auf barrikade.info