megafon | Mehr Rückgrat in den Gemeinderat

29. November 2019

Mehr Rückgrat in den Gemeinderat

Ein Kommentar von Titus Grünen

Kurz vor Jahresende ist es doch noch soweit: Der Leistungsvertrag zwischen Stadt und Reitschule ist ausgehandelt. Nun kann er vom Stadtrat und einer Vollversammlung der Reitschule beurteilt werden. Dass man sich in entscheidenden Punkten einigen konnte, ist positiv zu werten. So könnten Bescheinigungen über Ausbildung und Vorstrafen des hauseigenen Sicherheitsdienstes in Zukunft durch eine*n unabhängige*n Anwält*in beglaubigt werden. Es ist erfreulich, dass sich beide Seiten zu diesem Kompromiss durchringen konnten.

Stossend sind allerdings die Äusserungen diverser Politiker*innen im Zusammenhang mit dem neuen Leistungsvertrag. So mischte sich erst kürzlich der Regierungsrat des Kantons Bern in diese städtische Angelegenheit ein. Unter Umgehung der Gemeindeautonomie stellte er Forderungen, die seine Kompetenzen klar überschreiten. Und Polizeidirektor Philippe Müller (FDP) liess seit seinem Amtsantritt keine Gelegenheit aus, die Stadtberner Politik öffentlichkeitswirksam anzugreifen.

Die Reaktionen von Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL) erweckten dabei nicht gerade einen selbstsicheren Anschein. Man wolle nicht via Medien mit dem Kanton kommunizieren, hiess es jeweils. Dass Müller genau dies beabsichtigte, schien ihm nicht aufgefallen zu sein. Und so wird man den Eindruck nicht los, dass die Stadtregierung vor einem polternden Regierungsrat kuscht. In einer städtischen Angelegenheit. Wo der Kanton nichts zu melden hat. Ob hier das kommende Wahljahr mit reinspielt?

Wer die Polizei schickt, muss für die Polizei geradestehen

Fast irritierender als Müllers Tiraden ist allerdings, dass ebenjener Stadtpräsident am Donnerstag im «Bund» verlauten liess, darauf hinwirken zu wollen, «dass die Reitschüler der Polizei weniger misstrauen». In Anbetracht der gemeinderätlichen Politik im Raum Schützenmatte ist diese Ansage mehr als höhnisch.

Gerade jene Stadtregierung die dafür sorgt, dass zeitweise täglich Einsätze in der Reitschule durchgeführt werden, stellt sich nun als Vermittlerin dar. Ausgerechnet die Gemeinderät*innen die in Kauf nehmen, dass das Restaurant Sous le Pont regelmässig von aggressiven Polizist*innen gestürmt und mit Reizgas um sich gesprüht wird, weist mal wieder jede Verantwortung von sich. Genau die Politiker*innen die tolerieren, dass gefesselte, im Polizeigriff festgehaltene Menschen noch ein Knie in den Bauch gerammt bekommen¹, fordern nach wie vor einzig von der Reitschule eine Veränderung. Statt einmal klar Haltung zu zeigen, wenn immer und immer wieder offensichtliche Polizeigewalt angewendet wird.

Solche Äusserungen schaden dem Verhältnis zur Reitschule. Zusammen mit dem Schweigen bei polizeilichen Übergriffen werden sie langfristig zum Zerwürfnis führen. Der Stadtpräsident und der ach so linke Gemeinderat täten gut daran, für einmal nicht die Fahne im Wind zu sein. Ausnahmsweise mal nicht dem Kanton und der Polizei nach der Pfeife zu tanzen. Das gäbe ihnen Glaubwürdigkeit. Und einen Anschein von Rückgrat.

 


 

¹ Ein Video des Vorfalls ist hier zu sehen

 

 

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